Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 1
Der Wunsch nach schnellen, möglichst kostenfreien Ankreuzlösungen bei der lebzeitigen Vorsorgeberatung steht im umgekehrten Verhältnis zu der Bedeutung, die der Verlust der Selbstbestimmung für den Einzelnen lebzeitig hat und zu dem Aufwand, der zum Teil für die Zeit nach dem Tod betrieben wird.
I. Grundrechtsrelevanz von Vorsorgeregelungen
Rz. 2
Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass anwaltliche Vorsorgeberatung immer "worst-case-Beratung" ist. Es geht um in der Zukunft drohende Gefahren für die Würde und die Grundrechte des Mandanten. Durch dessen selbstbestimmte Entscheidung wird festgelegt, was für ihn als einzigartiges Individuum seine Würde ausmacht. Das durch Art. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Das Grundgesetz verlangt "Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung des Einzelnen". Es geht um den "unbedingten Vorrang individueller Selbstbestimmung auf der Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts"“, der es verbietet, die eigene Einschätzung vom "Besten" für den Betroffenen an die Stelle seiner autonomen Entscheidung zu setzen. Aber was ist, wenn die Autonomie durch individuelle Handicaps abhandenkommt? "Die Selbstbestimmung von Erwachsenen endet nicht mit dem Eintritt der Geschäfts- oder Einwilligungsunfähigkeit".“ Es ist nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Das ist auch der Ausgangspunkt anwaltlichen Handelns, dem als unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit als Sachwalter der Interessen seines Mandanten die Aufgabe zukommt, dessen Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit zu sichern und zu verteidigen.
Rz. 3
Die verfassungsrechtliche Dimension einer zukünftigen Unfähigkeit zur Selbstbestimmung wird in der Praxis bis hin zu den Betroffenen selbst bisher immer noch nicht ausreichend wahrgenommen. Vorsorgeplanung bedeutet aber, von den bestehenden Grundrechten aktiv und konkret Gebrauch zu machen und sie mit Leben zu füllen.
Rz. 4
Über die inhaltlichen Unterschiede der verschiedenen Vorsorgeinstrumente und deren Umsetzung in die Praxis bestehen bei Mandanten zum Teil nur sehr verschwommene Vorstellungen. Es ist daher notwendig, jede Beratung – auch wenn der Mandant nur eine Patientenverfügung wünscht – mit den unterschiedlichen Anforderungen und Möglichkeiten der rechtlichen Vorsorge – getrennt für die Situation vor dem Tod und nach dem Tod – zu beginnen und klassische Irrtümer zu beseitigen.
II. Vertretung eines Volljährigen – rechtliche Alternativen und ihr Ranking
Rz. 5
Die Irrtümer darüber, wer über die Belange eines Volljährigen entscheiden darf, sind nahezu unausrottbar. Die Antwort ergibt sich aus den "drei großen B". Berechtigt zu entscheiden und wirksam zu handeln sind:
▪ |
der Betroffene |
▪ |
der Bevollmächtigte |
▪ |
der Betreuer, |
und zwar in dieser Reihenfolge. Entgegen landläufiger Meinung gelten auch für Familienangehörige keine anderen Regeln. Eine Ausnahme besteht, wenn ein zeitlich befristetes gegenseitiges Notvertretungsrecht von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge besteht (dazu nachfolgend Rdn 20 ff.).
Rz. 6
Grundsätzlich scheidet ein unmittelbares Abstellen auf den Willen des Ehegatten – auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG – aus. Durch die Ehe ist ein Betroffener nicht in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, in den rechtlichen Grenzen z.B. über sein eigenes Leben oder dessen Beendigung genauso wie eine nicht verheiratete Person zu entscheiden. Das gilt auch in gesundheitlichen Angelegenheiten. Und das gilt erst recht gegenüber Abkömmlingen oder sonstigen Familienangehörigen. Der Gesetzgeber hat ihnen stattdessen Beteiligungsmöglichkeiten im Rahmen eines Betreuungsverfahrens gegeben (vgl. §§ 7, 274 Abs. 4 Nr. 1, 279 FamFG) und angeordnet, dass nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen im Rahmen der Feststellung des Patientenwillens nach § 1828 Abs. 2 BGB (§ 1901b Abs. 2 BGB a.F.) Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden soll, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.
1. Vorsorgevollmacht
Rz. 7
Die Erteilung einer Vorsorgevollmacht zur Vermeidung einer rechtlichen Betreuung ist Ausdruck des durch Art. 2 Abs. 1 i.V...