Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 105
Nach § 1827 Abs. 3 BGB (§ 1901a Abs. 3 BGB a.F.) gibt es keine Reichweitenregelung für eine Patientenverfügung. Über jede ärztliche Untersuchung, jede ärztliche Maßnahme kann eine Entscheidung getroffen werden, z.B.:
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"Ich lehne Bluttransfusionen, fremdes Gewebe und fremde Organe generell ab." |
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"Ich lehne die Behandlung mit folgenden Medikamenten ab: …" |
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"Ich lehne jegliche Impfung ab." oder "Ich bin mit jeder Impfung gegen alle möglichen Krankheiten einverstanden." |
Obgleich gesetzlich geregelt musste der BGH die gesetzgeberische Entscheidung durch eigene richterliche Entscheidung bestätigen. Auch für den Fall einer schweren Altersdemenz kann deshalb z.B. ein Behandlungsabbruch oder -verbot verlangt werden.
Rz. 106
Das klassischerweise diskutierte Behandlungsverbot, das unabhängig von einem festgelegten Zustand des Patienten ist, ist das Reanimationsverbot bei einem Herzkreislaufstillstand/Atemversagen.
Muster 3.9: Reanimationsregeln bei Herzkreislaufstillstand/Atemversagen
Muster 3.9: Reanimationsregeln bei Herzkreislaufstillstand/Atemversagen
"Ich lehne Wiederbelebungsmaßnahmen nach einem Herz-/Kreislaufstillstand oder Atemversagen nicht nur in den oben beschriebenen Situationen, sondern generell ab."
Alternativ: … nach Ablauf von _________________________ Minuten seit _________________________ab
Alternativ: … bei folgenden medizinischen Parametern _________________________ ab
Alternativ: Ich lehne Wiederbelebungsmaßnahmen generell ab, sofern diese Situationen nicht im Rahmen ärztlicher Maßnahmen (z.B. Operationen) unerwartet eintreten.
Rz. 107
Was passiert beim Herzkreislaufstillstand? Die Herzfunktion fällt durch eine fehlende Herzaktion aus. Das Herz pumpt kein Blut mehr in das Gehirn und den restlichen Körper. Ca. zwölf Sekunden nach einem Kreislaufstillstand verliert der Betroffene das Bewusstsein, da die neuronalen Funktionen des zentralen Nervensystems komplett zum Erliegen kommen. Pro Minute des Herzstillstandes reduziert sich die Wahrscheinlichkeit eines Überlebens um 10 %. Wenn nach einem Herzstillstand nicht innerhalb von fünf Minuten einfache Herzmassagen durchgeführt werden, dann ist ein Überleben unwahrscheinlich. "Da das Gehirn nicht dazu in der Lage ist, größere Mengen an Sauerstoff und Energielieferanten zu speichern, diese jedoch zwingend für seinen Stoffwechsel benötigt, hat es nur eine geringe Toleranzgrenze hinsichtlich einer Minderdurchblutung. Bei einer vollständigen Ischämie, das heißt einem vollständigen Durchblutungsstopp beispielsweise im Rahmen eines Herzkreislaufstillstands, beträgt die Wiederbelebungszeit des Gehirns sieben bis zehn Minuten, bis es zur irreversiblen Gewebeschädigung kommt. Auf die Herzfunktion bezogen bedeutet dieses jedoch, dass der Herzstillstand bereits nach drei bis vier Minuten behoben sein sollte, da das Herz in den ersten Minuten nach einem Kreislaufstillstand noch keinen ausreichenden Perfusinonsdruck erzeugen kann."
Rz. 108
Fälle von Reanimation mit schweren Hirnschäden sind verknüpft mit einer Vielzahl rechtlicher Fragestellungen, insbesondere bei Notfalleinsätzen. Wird sich der Notarzt an die Patientenverfügung halten oder macht es gar keinen Sinn, solche Verfügungen zu treffen?
Patientenverfügungen sind für ärztliche und nichtärztliche Mitglieder des Rettungsdienstes zwar grundsätzlich verbindlich, müssen aber eine Reihe von Bedingungen erfüllen, was in der Praxis häufig nicht der Fall ist. Die grundsätzliche Akzeptanz der Bindung an die Patientenverfügung nutzt in der Praxis häufig deshalb nichts, weil der Rettungssanitäter die Prüfung der Validität einer Patientenverfügung nicht vornehmen kann. Hinzu kommt, dass das nichtärztliche Rettungspersonal beim Eintreffen unverzüglich – auch ohne Anwesenheit des Arztes – von den ihm zustehenden Notfallkompetenzen Gebrauch machen muss, der Abbruch der Therapie aber nach § 28 Abs. S. 2 SGB V zumindest sozialrechtlich in der ausschließlichen Kompetenz des Arztes liegt. § 28 SGB V regelt: "… Zur ärztlichen Behandlung gehört auch die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist. …"
Rz. 109
In der Praxis wird versucht, dieses Problem durch ärztlich mitverantwortete, regional standardisierte Notfallbögen, die die Zielgruppe chronisch erkrankter Patienten im Blick haben, zu beseitigen. Sie stellen eine Unterart der Patientenverfügung für eine begrenzte Fallgruppe und einen begrenzten Regelungsbereich dar.
Hinweis
Es ist bei chronisch erkrankten Patienten darüber nachzudenken, einen Extrakt der Patientenverfügung für den ersten Zugriff gut sichtbar "vor die Klammer zu ziehen".
Außerdem ist angesichts der begrenzten Möglichkeiten für eine erfolgreiche Reanimation mit Nichtschadensprognose daran zu erinnern, dass für Patientenverfügungen keine Reichweitenbegrenzungen existieren und auch der vollkommene Ausschluss der Reanimation zu akzeptieren ist. Ist dies gewollt, dann empfiehlt sich die Kennzeichnung des Deck...