Dr. Gudrun Doering-Striening
1. Keine Vernunfthoheit des Arztes, sondern auch das Recht auf Krankheit/Selbstschädigung/Tod
Rz. 39
Die Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patienten ist das Fundament, auf dem die Patientenverfügung überhaupt entstehen konnte. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird von dem Grundsatz beherrscht, dass der Patient aufgrund seines verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts frei entscheidet, welche Untersuchungen, Heilbehandlungen oder Eingriffe er von denjenigen, die der Arzt als medizinisch indiziert ansieht, zulässt. Er ist – nach ordnungsgemäßer Aufklärung – frei darin zu entscheiden, welche Maßstäbe er für sich wählt und wie mit ihm als Patient zu verfahren ist. Er kann eine Einwilligung in eine Behandlung erteilen, muss es aber nicht. Der Patient kann seine einmal erteilte Einwilligung auch jederzeit widerrufen. Zusammengefasst heißt das: Es gibt keine Vernunfthoheit des Arztes über seinen Patienten.
Rz. 40
Willigt der Patient in die medizinisch indizierte angebotene Maßnahme ein, so liegt darin die Rechtfertigung für den Eingriff in seine körperliche Integrität. Ohne Einwilligung bleibt die Maßnahme – sei sie auch noch so sinnvoll und zielführend – eine verbotene Körperverletzung. Sie wird es, sobald in die Fortsetzung einer ärztlichen Maßnahme nicht mehr eingewilligt wird, gleich, ob dies durch Unterlassen weiterer Behandlungsmaßnahmen oder durch aktives Tun umzusetzen ist, wie es etwa das Abschalten eines Respirators oder die Entfernung einer Ernährungssonde darstellen.
2. Keine Vernunfthoheit staatlicher Gewalt, sondern auch das Recht auf Krankheit/Selbstschädigung/Tod
Rz. 41
"Die Entscheidung, ob und inwieweit eine Person eine Krankheit diagnostizieren und behandeln lässt, muss sich nicht an einem Maßstab objektiver Vernünftigkeit ausrichten. Die Pflicht des Staates, den Einzelnen "vor sich selbst in Schutz zu nehmen", eröffnet keine "Vernunfthoheit" staatlicher Organe über den Grundrechtsträger", selbst wenn seine Entscheidung von durchschnittlichen Entscheidungskategorien abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint. Der Staat hat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Es ist dem Staat verwehrt, seine eigene Entscheidung vom "Besten" für den Betroffenen an die Stelle dessen autonomer Entscheidung zu setzen. Es gibt – verfassungsrechtlich gesichert – ein nur an wenige echte Grenzen stoßendes Recht auf
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Unvernunft |
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Krankheit und |
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Lebensgefährdung |
bis hin zum eigenen Tod, auch wenn dies in den Augen Dritter den wohlverstandenen Interessen des Betroffenen zuwiderläuft; auch nicht allein deshalb, um z.B. dem Betroffenen ein Leben außerhalb des Maßregelvollzugs zu ermöglichen.
Hinweis
In der Praxis zeigen sich jetzt erste Fälle, in der diese Freiheit zur Selbstschädigung an und über die Grenzen der Familienangehörigen im unmittelbaren Umfeld gehen kann; z.B. wenn Ehe- und Lebenspartner eine stationäre Versorgung verweigern und damit unzumutbare Lebensverhältnisse zu Hause schaffen. Die Anweisung an den Vorsorgebevollmächtigen, man wolle unbedingt so lange wie möglich zu Hause versorgt werden, muss daher in Vollmachten, Geschäftsbesorgungsverträgen oder Patientenverfügungen im Lichte dieser Probleme in der anwaltlichen Beratung noch einmal völlig neu gedacht werden.
Rz. 42
Nach der Rechtsprechung gewährleistet Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, grundsätzlich frei über den Umgang mit seiner Gesundheit nach freiem Gutdünken zu entscheiden, sondern auch das Recht des Einzelnen darüber zu entscheiden, wie und wann er sein Leben beenden möchte, sofern er diesbezüglich zu einer freien Willensbildung in der Lage und fähig ist, entsprechend zu handeln. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben incl. des Rechts sein Leben eigenhändig, bewusst und gewollt zu beenden. Der Grundrechtsschutz erstreckt sich auch auf die Freiheit bei der Selbsttötung bei Dritten Hilfe zu suchen und sie, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das Recht, über das eigene Leben zu verfügen, ist dabei nicht auf schwere und unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. "Die Verwurzelung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG impliziert ferner, dass die eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung bedarf."
Rz. 43
Manche Wege zu einem aktiv selbstbestimmten Tod sind allerdings aus rechtlichen Gründen verschlossen. Der Patient kann aktiv nichts verlangen, was mit der Rechtsordnung nicht in Übereinklang steht. Er wird auch nicht in seinem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben unzulässig beschränkt, weil die bestehenden Möglichkeiten der Realisation nicht seinen Vorstellungen entsprechen. Niemand, i...