Rz. 2

Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass anwaltliche Vorsorgeberatung immer "worst-case-Beratung" ist. Es geht um in der Zukunft drohende Gefahren für die Würde[1] und die Grundrechte des Mandanten. Durch dessen selbstbestimmte Entscheidung wird festgelegt, was für ihn als einzigartiges Individuum seine Würde ausmacht. Das durch Art. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann,[2] soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Das Grundgesetz verlangt "Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung des Einzelnen".[3] Es geht um den "unbedingten Vorrang individueller Selbstbestimmung auf der Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts"“,[4] der es verbietet, die eigene Einschätzung vom "Besten" für den Betroffenen an die Stelle seiner autonomen Entscheidung zu setzen.[5] Aber was ist, wenn die Autonomie durch individuelle Handicaps abhandenkommt? "Die Selbstbestimmung von Erwachsenen endet nicht mit dem Eintritt der Geschäfts- oder Einwilligungsunfähigkeit".“[6] Es ist nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.[7] Das ist auch der Ausgangspunkt anwaltlichen Handelns, dem als unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit als Sachwalter der Interessen seines Mandanten die Aufgabe zukommt, dessen Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit zu sichern und zu verteidigen.

 

Rz. 3

Die verfassungsrechtliche Dimension einer zukünftigen Unfähigkeit zur Selbstbestimmung wird in der Praxis bis hin zu den Betroffenen selbst bisher immer noch nicht ausreichend wahrgenommen. Vorsorgeplanung bedeutet aber, von den bestehenden Grundrechten aktiv und konkret Gebrauch zu machen und sie mit Leben zu füllen.

 

Rz. 4

Über die inhaltlichen Unterschiede der verschiedenen Vorsorgeinstrumente und deren Umsetzung in die Praxis bestehen bei Mandanten zum Teil nur sehr verschwommene Vorstellungen. Es ist daher notwendig, jede Beratung – auch wenn der Mandant nur eine Patientenverfügung wünscht – mit den unterschiedlichen Anforderungen und Möglichkeiten der rechtlichen Vorsorge – getrennt für die Situation vor dem Tod und nach dem Tod – zu beginnen und klassische Irrtümer zu beseitigen.

[1] BGH, Urt. v. 25.6.2010 – 2 StR 454/09, NJW 2010, 2963; BGH, Urt. v. 15.11.1996 – 3 StR 79/76, NJW 1997, 807.
[3] BVerfG, Beschl. v. 5.11.2019 – 1 BvL 7/16 m.v.w.N. NJW 2019, 3703.
[4] BVerfG, Beschl. v. 5.11.2019 – 1 BvL 7/16 m.v.w.N. NJW 2019, 3703.
[6] BT-Drucks 19/24445, 249.
[7] BVerwG, Urt. v. 2.3.2017 – C 19.15, NJW 2017, 2215, Rn 27 zum Anspruch auf Verordnung von Pentobarbitol.

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