Dr. Gudrun Doering-Striening
1. Was gibt es schon?
Rz. 66
Die Praxis beklagt, dass "das traditionelle Konzept von Patientenverfügungen ("living wills") als gescheitert angesehen werden müsse." Es gibt aber trotz aller Kritik am Istzustand eine schier unübersehbare Anzahl von Patientenverfügungsanbietern und Patientenverfügungsmustern, z.B. für spezielle Personengruppen, wie z.B. die psychiatrische oder jetzt psychosoziale genannte Patientenverfügung oder die Patientenverfügungen für behinderte oder unter Betreuung stehende Menschen in leichter Sprache. Gewerbliche Anbieter werben mit Patientenverfügungen, die an medizinischen Parametern ausgerichtet sind. Zum Teil werden Patientenverfügungen ergänzt durch sog. Notfalltexte, in denen bereits schwer Erkrankte Anweisungen an ihren behandelnden Arzt, den Rettungsdienst oder ihr Palliativteam geben.
Rz. 67
Dem stehen eine Vielzahl von juristischen Kommentaren und Handbüchern gegenüber, die eher zurückhaltend mit Textvorschlägen sind, sich lieber an Textklassikern wie dem Vorschlag des Bundesjustizministeriums oder des bayerischen Staatsministeriums orientieren, vorsichtshalber gleich ganz auf Textmuster verzichten oder zumindest vertreten, dass sich eine Standardisierung oder auch nur eine Typisierung verbiete. Wenn die Fachbücher Textmuster enthalten, sind sie häufig sehr kurz, insbesondere, wenn sie in notariellen Urkunden mit Vorsorgevollmachten zusammengefasst sind.
Hinweis
Es ist m.E. ein Wagnis, sich in einem solchen Handbuch mit Mustertexten und Aussagen zu Formalien eindeutig zu positionieren. Angesichts des eigenen Erfahrungshorizontes wird aber der oft vertretenen Praxis, Vollmachtsdokumente und Patientenverfügung in einer Urkunde zu koppeln, entgegengetreten. Es ist weder zwingend noch sinnvoll, die Dokumente miteinander zu koppeln.
So manche notarielle Urkunde legt Beweis dafür ab, dass der Notar nicht die Zeit für eine wirklich individuelle Patientenverfügung hatte und es sich um beliebige Standardtexte handelt. Der Mandant benötigt aber keinen Annex an eine Vollmacht, sondern ein "individuelles Maßkleid." Davon benötigt er mehrere Exemplare (z.B. für den behandelnden Arzt, für seinen Bevollmächtigten/Betreuer, für das Krankenhaus bei stationärer Aufnahme, für das Pflegeheim etc.). Diese Adressaten benötigen keine beurkundeten Generalvollmachten mit Informationen, die sie nichts angehen. Sie benötigen nicht einmal eine beurkundete Gesundheitsvollmacht. Es gilt lediglich das bloße Schriftformerfordernis.
Praxistipp
Zusätzliche Exemplare im Broschürenformat fertigen, die in die Hand- bzw. Brieftasche passen. Auf der Versicherungskarte sollte der Mandant ergänzend einen Hinweis anbringen, wo sich seine Patientenverfügung befindet, wenn er nicht ohnehin eine Informationsscheckkarte bei sich trägt (in den Tresor gehört eine Patientenverfügung nicht, sondern sie sollte gut zugänglich und auf jeden Fall auch beim Hausarzt hinterlegt sein).
Rz. 68
Es wäre angesichts der Vielfalt der unterschiedlichen gedanklichen Ansätze vermessen anzunehmen, an dieser Stelle könne nun nachfolgend "das Rad neu erfunden", sämtliche Bedenken gegen Textmuster aufgelöst oder etwas geschaffen werden, was allgemein Akzeptanz findet oder gar allgemeingültig wäre. Die nachfolgenden Hinweise und Texte können allenfalls ein Versuch sein, aus schon vorhandenem Material und der eigenen Erfahrung im Umgang mit Mandanten und ihren Wünschen Anregungen zu geben, wie man für jeden Mandanten etwas Individuelles schaffen kann, das für die Frage über die Behandlung/Nichtbehandlung des Nichteinwilligungsfähigen geeignet ist, zu einer guten Entscheidung zu kommen.
Rz. 69
Dabei setzt der hiesige gedanklich Ansatz etwas voraus, was in der Praxis häufig fehlt: Zeit. Zeit, um sich individuell und intensiv mit dem Mandanten auseinandersetzen zu können und zu wollen. Wenn es aber z.B. an der Möglichkeit fehlt, diese Zeit adäquat zu bezahlen, dann muss man darüber nachdenken, wie und in welchen Formen man einen – oder ggf. auch mehrere Mandanten zusammen – anleiten kann, möglichst viel Vorarbeit anhand eigener Muster selbst zu übernehmen, so dass man sich auf den "Feinschliff" konzentrieren kann.
Rz. 70
Es ist nach Überzeugung der Verfasserin nicht ausreichend, nur eine Patientenverfügung im Sinne der Legaldefinition des § 1827 Abs. 1 BGB (§ 1901a Abs. 1 BGB a.F.) zu entwerfen, denn – glaubt man den Medizinern – wird sie die zu entscheidende Lebenssituation ohnehin nicht treffen. Albrecht/Albrecht/Böhm/Böhm-Rößler führen dies in ihrem Buch anhand einzelner klassischer Formulierungen zu einzelnen Regelungsbereichen, die auch hier mangels überzeugender Alternativen durchaus benutzt werden, nachvollziehbar vor. Ist das aber so, dann muss sich der Anwalt auf seine Kernkompetenz konzentrieren und Störfallregeln für das Scheitern der Patientenverfügung entwickeln.
Hinweis
Die wesentliche anwaltliche Arbeit neben der Patientenverfügung im engen rechtlichen Sinne ist daher m.E. das Herausarbeiten von Regeln, die gel...