Isabel Hexel, Martina Hidalgo
a) Rolle des Wahlvorstandes
Rz. 702
Die Vorbereitung und Durchführung einer Betriebsratswahl ist kompliziert. Es gibt eine Reihe von Formvorschriften, schwierige Rechtsfragen und Ermessensspielräume. Die Entscheidungen trifft der Wahlvorstand in eigener Verantwortung und unter besonderer Berücksichtigung seiner Neutralitätspflichten. Arbeitgeber, Gewerkschaften oder kundige Arbeitnehmer können allenfalls Rat und Unterstützung geben. Ihre Interventionsmöglichkeiten sind begrenzt.
Diese unabhängige Rolle des Wahlvorstands ist durchaus verständlich. Sie beugt Versuchen Dritter vor, Einfluss auf die Wahl zu nehmen. Die Medaille hat aber auch eine andere Seite. Ist der Wahlvorstand beratungsresistent oder verfolgt er – wie im Beispielsfall – sachfremde Interessen, müssen Arbeitgeber, Belegschaft und im Betrieb vertretene Gewerkschaften Fehler im Wahlverfahren grundsätzlich zunächst einmal hinnehmen. Sie sind auf die nachträgliche Wahlanfechtung verwiesen (§ 19 BetrVG).
b) Bedeutung des Wahlanfechtungsverfahrens
Rz. 703
Ein Wahlanfechtungsverfahren dauert lange, mitunter zwei oder noch mehr Jahre. Währenddessen bleibt der gewählte Betriebsrat im Amt, auch wenn die Wahl grob fehlerhaft war und die demokratische Legitimation des Betriebsrats sehr zu bezweifeln ist. Überdies entstehen vermeidbare Kosten für das Wahlanfechtungsverfahren und Neuwahlen.
Daher stellt sich die Frage, ob rechtswidrigen Maßnahmen des Wahlvorstandes bei Wahlvorbereitung und -durchführung nicht schon mit einer einstweiligen Verfügung begegnet werden kann. Damit würde der Fehler schnell und nicht langsam korrigiert, es käme kein fehlerhaft gewählter Betriebsrat ins Amt, Zeit und Nerven aller Beteiligten und die Finanzen des Arbeitgebers würden geschont.
c) Effektiver Rechtsschutz durch einstweilige Verfügung
Rz. 704
Eine solche einstweilige Verfügung gegen rechtswidrige Maßnahmen des Wahlvorstandes wird allgemein für zulässig gehalten. In der Praxis kommt sie auch recht häufig vor. Allerdings werden die Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung von den verschiedenen Gerichten unterschiedlich beurteilt.
Einige Gerichte sind ausgesprochen zurückhaltend. Sie argumentieren häufig so: Aus § 19 BetrVG ergebe sich, dass eine fehlerhafte Betriebsratswahl erst einmal hinzunehmen sei. Deshalb sei bei Fehlern, welche die Anfechtbarkeit der Wahl begründen, eine einstweilige Verfügung von vornherein nicht möglich. Anderenfalls werde die Wertung des § 19 BetrVG überspielt. Zudem würde im Verfügungsverfahren die Hauptsache vorweggenommen. Dies sei nur anders bei Fehlern des Wahlvorstands, die zur Nichtigkeit der Wahl führten. Durch eine solche Wahl komme von vornherein kein wirksamer Betriebsrat ins Amt, deswegen spiele insofern die Wertung des § 19 BetrVG keine Rolle. Gegen solche zur Nichtigkeit der Wahl führende Fehler könne mittels einstweiliger Verfügung vorgegangen werden. Bisweilen wird danach differenziert, ob mittels einstweiliger Verfügung eine Korrektur einzelner Entscheidungen des Wahlvorstandes oder der Abbruch der Wahl erzwungen werden soll (siehe dazu Rdn 706 f.): Im ersten Fall reiche die sichere Anfechtbarkeit, im zweiten Fall bedürfe es der Nichtigkeit der anstehenden Wahl.
Andere Gerichte sind großzügiger. Sie lassen eine einstweilige Verfügung schon bei Fehlern des Wahlvorstands zu, die sicher zur Anfechtbarkeit der Wahl gemäß § 19 BetrVG führen. Dies gilt auch für einen beantragten Abbruch der Wahl. Ein langer betriebsratsloser Zustand dürfe freilich nicht entstehen. Bisweilen wird zusätzlich gefordert, dass der beanstandete Fehler offenkundig ist. Es wird auch vertreten, dass der Wahlvorstand zusätzlich subjektiv vorwerfbar gehandelt haben muss. Ob diese beiden letzten Einschränkungen richtig sind, mag hier dahinstehen. Jedenfalls lässt sich die großzügigere Auffassung damit begründen, dass von vornherein ein fehlerhaft gewählter, demokratisch unzureichend legitimierter Betriebsrat ins Amt kommt und dort bei einer Wahlanfechtung für eine längere Zeit bleibt. Eine solche Amtszeit ist nicht schützenswert, sie kann deshalb schon im laufenden Wahlverfahren angefochten und unterbunden werden. Zudem wird dadurch ein langwieriges und aufwändiges Wahlanfechtungsverfahren vermieden, an dessen Ende eine wieder zu Kosten führende Neuwahl steht.
Auch spielt der Gesichtspunkt einer schnellen Befriedung durch einstweilige Verfügung in der betrieblichen Praxis eine große Rolle, die von manchen Gerichten unterschätzt wird. Die Wertung des § 19 BetrVG steht dem nicht entgegen. Denn dort geht es darum, was passiert, wenn bereits gewählt wurde. In einem solchen Fall soll aus Gründen der Rechtssicherheit der Betriebsrat bis zum Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens erst einmal im Amt bleiben. Die einstweilige Verfügung setzt aber bereits vor der Wahl an. Das ist eine andere zeitliche Perspektiv...