Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
a) Materiell-rechtlich
aa) Anzahl der Arbeitnehmer
Rz. 621
Gem. § 111 S. 1 BetrVG muss es sich um ein Unternehmen (nicht: Betrieb) mit i.d.R. mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern handeln. Die Behandlung von Gemeinschaftsbetrieben ist umstritten; teilweise wird nach dem Gegenstand des Beteiligungsrechts differenziert (Interessenausgleich/Sozialplan).
bb) Betriebsänderung
Rz. 622
Gerade wenn eine einstweilige Verfügung beantragt wird, muss das Vorliegen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG genau dargelegt werden, sodass dieses Kriterium möglichst einem Streit entzogen ist. Das betrifft zum einen die in § 111 BetrVG genannten fünf verschiedenen Fallgestaltungen und zum anderen die Anforderungen an die Kriterien "wesentlich" (in Nr. 1 und Nr. 2 von § 111 BetrVG) und "grundlegend" (in Nr. 4 und Nr. 5 von § 111 BetrVG). In erster Linie wird hierfür die quantitative Betrachtung entsprechend § 17 Abs. 1 KSchG heranzuziehen sein. Allerdings kann die Wesentlichkeit bzw. grundlegende Bedeutung auch mit einer qualitativen Bewertung begründet werden.
cc) Wesentliche Nachteile
Rz. 623
Wenn es gelungen ist, eine der in § 111 S. 3 BetrVG beispielhaft aufgeführten Fallkonstellationen darzulegen, bedarf es nicht mehr des Nachweises wesentlicher Nachteile für die Belegschaft (§ 111 S. 1 BetrVG). Diese werden dann fingiert, sodass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 111 BetrVG auch dann bestehen, wenn im konkreten Fall keine wesentlichen Nachteile für die Belegschaft zu erwarten sind.
dd) § 112a BetrVG
Rz. 624
Der Arbeitgeber ist auch dann verpflichtet, einen Interessenausgleich bis hin zur Einigungsstelle zu versuchen, wenn der Betriebsrat einen Sozialplan nach § 112a BetrVG (geringfügiger Personalabbau, Unternehmensneugründung) nicht erzwingen kann.
ee) Zuständiges Gremium
Rz. 625
In der Abgrenzung zwischen Betriebsrat, Gesamt- und Konzernbetriebsrat ist die Zuständigkeit genau zu prüfen. Ist der Anwalt vom falschen Gremium mandatiert, kann er keinen Verfügungsanspruch geltend machen. Die Zuständigkeit der Gremien für Interessenausgleich und Sozialplan kann auseinanderfallen.
ff) Unterlassungsanspruch
Rz. 626
Der Abschluss eines Interessenausgleichs ist im Gegensatz zum Sozialplan nicht erzwingbar, auch nicht in der Einigungsstelle. Daraus werden unterschiedliche Schlüsse gezogen: Die Befürworter des Unterlassungsanspruchs argumentieren, gerade wegen der fehlenden Erzwingbarkeit des Interessenausgleichs und der damit verbundenen strukturellen Unterlegenheit des Betriebsrats bedürfe dessen Verhandlungsanspruch des besonderen Schutzes, damit er nicht völlig entwertet werde. Die Gegner des Unterlassungsanspruchs weisen darauf hin, dass dem Betriebsrat auf dem Wege des Unterlassungsanspruchs nicht eine größere Macht zugebilligt werden dürfe als im Gesetz vorgesehen.
Rz. 627
An dieser Stelle soll lediglich auf zwei Aspekte hingewiesen werden: Zum einen hat das BAG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 3.5.1994 den allgemeinen Unterlassungsanspruch im Bereich der sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG anerkannt. Auch dieser Anspruch ist nicht kodifiziert und war lange umstritten. Ob dieser Unterlassungsanspruch auch für den Bereich der Betriebsänderung gilt, hat das BAG offengelassen, aber auch nicht ausgeschlossen.
Rz. 628
Zum anderen sind in diesem Zusammenhang die EU-Richtlinien 98/59/EG (sog. Massenentlassungs-Richtlinie) und 2002/14/EG (Unterrichtungs- und Anhörungs-Richtlinie) zu beachten, die z.T. weitergehende Informations- und Beratungsansprüche der Arbeitnehmervertretungen als nach deutschem Recht vorsehen. Diese Richtlinien sind zumindest im Rahmen der richtlinienkonformen A...