Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
a) Materiellrechtlich
aa) Verfügungsanspruch
Rz. 671
Der Antrag ist begründet, wenn ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund bestehen. Mit Verfügungsanspruch ist der materiellrechtliche Anspruch gemeint, hier also der aus der Verletzung eines Mitbestimmungsrechts abgeleitete betriebsverfassungsrechtliche Unterlassungsanspruch.
bb) Verfügungsgrund
Rz. 672
Verfügungsgrund ist die Eilbedürftigkeit im Hinblick auf die Gefährdung der Mitbestimmung. Sie folgt aus der eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Störung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. Denn handelt der Arbeitgeber mitbestimmungswidrig, werden Rechte des Betriebsrats verletzt, und diese Verletzung vertieft sich mit fortschreitender Zeit. Anders als etwa die Zahlung eines Geldbetrages ist die Ausübung der Mitbestimmung – als Recht, das Handeln des Arbeitgebers zu beeinflussen – nicht nachholbar, weil auf die Vergangenheit kein Einfluss mehr genommen werden kann. Es wäre eine Verweigerung effektiven Rechtsschutzes, den Betriebsrat in einem solchen Fall auf das Abwarten einer rechtskräftigen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren zu verweisen.
Rz. 673
Übersehen wird hierbei häufig, dass der Vergleich der Verfahrenslängen nicht zwischen einer erstinstanzlichen Entscheidung im Eilverfahren und einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren stattzufinden hat, da die erstinstanzliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren erst mit Eintritt der Rechtskraft, gegebenenfalls somit erst nach Abschluss der 2. oder 3. Instanz, vollstreckbar wird und vorher nicht durchgesetzt werden kann. Daher ist der einstweiligen Verfügung die letztinstanzliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren gegenüberzustellen, wodurch deutlich wird, welche große praktische Bedeutung das Eilverfahren hat. Denn eine letztinstanzliche Entscheidung in Hauptsacheverfahren benötigt deutlich mehr Zeit als ein Jahr.
Rz. 674
Nicht maßgeblich für den Verfügungsgrund ist, ob für die Zeit bis zur Schaffung einer mitbestimmten Regelung der notwendige Schutz der Arbeitnehmer unwiederbringlich vereitelt würde. Der Schutz der Mitbestimmungsrechte dient der Sicherung der Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats auf die Entscheidungen des Arbeitgebers und nicht unmittelbar der Verhinderung von Nachteilen für die Arbeitnehmer. Der Betriebsrat handelt für seine eigene, kollektivrechtlich geschützte Position. Trotzdem können im Rahmen des Verfügungsgrundes auch bevorstehende Nachteile für die Arbeitnehmer mit dargelegt werden, um dem Anliegen des Betriebsrats zusätzliches Gewicht zu geben.
cc) Zu langes Abwarten
Rz. 675
Wenn der Betriebsrat erst längere Zeit, nachdem er von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat, eine einstweilige Verfügung beantragt, fehlt nach herrschender Rechtsprechung ein Verfügungsgrund. Dieser Grundsatz muss jedoch hinterfragt werden, da er auf eine Verwirkung von Mitbestimmungsrechten hinauslaufen kann, die es im BetrVG nicht gibt. Sicherlich darf der Betriebsrat nicht solange warten, bis erst hierdurch Dringlichkeit eintritt. Es kann aber plausible Gründe für das Zuwarten geben, die gerade in dem betriebsverfassungsrechtlichen Leitbild der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) liegen, wie z.B. Hemmung, den eigenen Arbeitgeber zu "verklagen", mangelnde juristische Erfahrung oder Hoffnung auf ein Einlenken des Arbeitgebers. Die daraus resultierende Zurückhaltung des Betriebsrats, sofort den Rechtsweg zu beschreiten, darf dann seine Rechtsposition im Eilverfahren nicht schwächen.
Ein größerer zeitlicher Abstand zwischen den auslösenden Ereignissen und dem Antrag bei Gericht löst in jedem Fall Erklärungsbedarf aus, der in der Antragsschrift gedeckt werden sollte.
dd) Einigungsstelle
Rz. 676
Wenn sich bereits eine Einigungsstelle mit der Angelegenheit befasst, zu der eine einstweilige Verfügung beantragt wird, berührt dies weder den Verfügungsanspruch noch den Verfügungsgrund. Die Einigungsstelle bietet keine Möglichkeit, vorläufige Regelungen und deren Einhaltung zu erzwingen. Die Einsetzung einer Einigungsstelle ist kein Mittel für den Arbeitgeber, Mitbestimmungsverstöße vorläufig zu legalisieren, ohne dass der Betriebsrat etwas dagegen unternehmen kann.
ee) Vorwegnahme der Hauptsache
Rz. 677
Im einstweiligen Rechtsschutz kommen Sicherungsverfügungen nach § 935 ZPO und Regelungsverfügungen nach § 940 ZPO in Betracht, die beide vorläufigen Charakter haben. Begrifflich beinhalten Sicherungsverfügungen kei...