Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 439
Der Feststellungsantrag nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG soll bereits die Begründung des Arbeitsverhältnisses verhindern. Folglich kann er nur vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses gestellt werden. Umstritten ist, ob der Antrag auch bereits dann zulässig ist, wenn der Auszubildende das Weiterbeschäftigungsverlangen gemäß Abs. 2 noch nicht gestellt hat. Dem Streit kommt keine besondere Relevanz zu, da über den Feststellungsantrag gemäß § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG bis zum Ablauf des Berufsausbildungsverhältnisses in der Regel noch nicht entschieden sein wird. Nach Rechtsprechung des BAG wandelt sich ein bereits gestellter Feststellungsantrag mit dem Zeitpunkt des Endes der Ausbildung automatisch in einen Auflösungsantrag nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG um. Es bedarf keiner Antragsänderung, da Feststellungs- und Auflösungsantrag nach Nr. 1 und Nr. 2 insoweit denselben Streitgegenstand betreffen.
Praxistipp
Vorsorglich ist aus Arbeitgebersicht gleichwohl anzuraten, den Antrag mit der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses und der damit eintretenden Fiktion nach § 78a Abs. 2 BetrVG auch formal zu ändern.
Rz. 440
Allein die Stellung des Auflösungsantrags gemäß § 78a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BetrVG kommt in Betracht, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Geltendmachung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung das Berufsausbildungsverhältnis bereits beendet ist. Dieser Gestaltungsantrag ist fristgebunden: Lediglich bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses kann der Antrag gestellt werden. Da der Arbeitgeber mit Ablauf der Frist sein Gestaltungsklagerecht verliert, liegt darin eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Für die Fristberechnung gelten die §§ 187 ff. BGB. Der Fristlauf beginnt mit dem Ende des Ausbildungsverhältnisses – unabhängig davon, ob es durch Bestehen der Abschlussprüfung oder den Ablauf der vertraglich vereinbarten Ausbildungszeit endet. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Einreichung der Antragsschrift beim zuständigen Arbeitsgericht, sofern diese demnächst zugestellt wird (§§ 80 Abs. 2 ArbGG, 167 ZPO).
Rz. 441
Zur Begründung des Antrags gemäß § 78a Abs. 4 S. 1 BetrVG muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen, aufgrund derer ihm die Weiterbeschäftigung des Auszubildenden unter Berücksichtigung aller Umstände nicht zugemutet werden kann. Der maßgebende Zeitpunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit ist dabei derjenige, zu dem das Arbeitsverhältnis begründet werden soll. Die zum Terminus der "Zumutbarkeit" in § 626 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze können allerdings nicht unverändert auf die Konstellation des § 78a Abs. 4 BetrVG übertragen werden, da die Unzumutbarkeit der unbefristeten Weiterbeschäftigung des Auszubildenden, nicht aber die Unzumutbarkeit der Beschäftigung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in Frage steht. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung sind nicht nur Interessen des betroffenen Mandatsträgers, sondern auch diejenigen des betroffenen Betriebsverfassungsorgans sowie der Belegschaft gegenüber den Interessen des Arbeitgebers abzuwägen. Auch wenn deshalb eine eigenständige Auslegung des Begriffs der Unzumutbarkeit erforderlich ist, lassen sich – ähnlich dem § 626 Abs. 1 BGB – Gründe für die Unzumutbarkeit in der Person des Auszubildenden, in seinem Verhalten sowie in betrieblich bedingten Umständen finden.
Rz. 442
Als personenbedingte Gründe, die eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung begründen, kommen jedenfalls solche in Betracht, die das Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB erreichen. Darüber hinaus ist eine Übernahme aus personenbedingten Gründen unzumutbar, wenn der Amtsinhaber nicht ausreichend qualifiziert ist, etwa weil die Abschlussprüfung (mehrfach) nicht bestanden wurde oder für den in Frage kommenden Arbeitsplatz eine Spezialausbildung erforderlich ist. Dass andere, nicht unter den Schutz des § 78a BetrVG fallende Auszubildende bessere Prüfungsnoten erreicht haben, reicht allein für eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Amtsinhabers nicht aus. Die Note kann allerdings im Zusammenhang mit vor der Prüfung gezeigten mangelhaften Leistungen berücksichtigt werden.
Rz. 443
Verhaltensbedingte Gründe vermögen eine Unzumutbarkeit ebenfalls zumindest dann zu begründen, wenn ihnen die Qualität eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zukommt. Insofern sind gravierende Leistungsmängel, Arbeitsverweigerung, unbefugte Arbeitsversäumnisse, Straftaten sowie Verstöße gegen die betriebliche Ordnung zu nennen. Stellt eine Vertragspflichtverletzung gleichzeitig eine Verletzung des betriebsverfassungsrechtlichen Amtes dar, gilt für die Unzumutbarkeit ein besonders strenger Maßstab. Denn aus der Art und Weise der Ausübung des betriebsverfassungsrechtlichen Amtes kann grundsätzlich keine verhaltensbedingte Unzumutbarkeit hergeleitet werden.
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