Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 574
Nach Erlass des Urteils durch das Arbeits- oder Landesarbeitsgericht kann die Zwangsvollstreckung nur noch gemäß § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG nachträglich eingestellt werden. Praktisch bedeutsam ist dies im Falle der Berufung gegen ein vorläufig vollstreckbares arbeitsgerichtliches Urteil. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG steht völlig selbstständig neben dem Antrag auf Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Die nachträgliche Einstellung der Zwangsvollstreckung kann daher auch dann erfolgen, wenn ein Antrag nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG in der Vorinstanz nicht gestellt wurde. Es ist ebenso möglich, in der Berufungsinstanz lediglich den Antrag auf Ausschluss der Vollstreckbarkeit nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG zu stellen, ohne vorher einen solchen auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil nach § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG gestellt zu haben. Der Antrag ist in der Berufungsinstanz ebenso zulässig, wenn er in der ersten Instanz noch erfolglos war, weil der wesentliche Nachteil noch nicht dargelegt werden konnte oder etwa erst später entstanden ist bzw. ersichtlich wurde.
In § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG wird auf die §§ 707 Abs. 1, 719 Abs. 1 ZPO verwiesen. Die nachträgliche Einstellung der Zwangsvollstreckung ist möglich, wenn gegen eine rechtskräftige Entscheidung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt wurde, die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 707 Abs. 1 ZPO erfolgt oder im Falle von Einspruch oder Berufung gegen ein vorläufig vollstreckbares Urteil nach § 719 Abs. 1 ZPO.
Für den Fall, dass bereits ein Rechtsmittel eingelegt wurde, ist der Antrag nach § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG beim Rechtsmittelgericht zu stellen, d.h. entsprechend entweder beim zuständigen Landes- oder beim Bundesarbeitsgericht. Auch für den Antrag nach § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG muss ein nicht zu ersetzender Nachteil dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dieser kann nicht vorliegen, wenn das Rechtsmittel gegen die Entscheidung, aus der vollstreckt werden soll, ohne Zweifel unzulässig ist.
Die Einstellung der Zwangsvollstreckung erfolgt nach § 62 Abs. 1 S. 4 ArbGG nunmehr ausdrücklich ohne Sicherheitsleistung. Die Entscheidung über den Antrag ergeht durch Beschluss. Eine mündliche Verhandlung erfolgt regelmäßig nicht. Dem Antragsgegner ist jedoch rechtliches Gehör zu gewähren. Ebenfalls zulässig ist eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung beispielsweise bis zum Vorliegen der Berufungsbegründung oder der Berufungsbeantwortung. Die Entscheidung über den Antrag ergeht durch Beschluss und – auch in der Berufungsinstanz – ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter durch den Vorsitzenden allein, §§ 53 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 1 Nr. 6, 64 Abs. 7 ArbGG. Die Entscheidung kann wiederholt oder auf Antrag abgeändert werden, wenn sich der zugrundeliegende Sachverhalt geändert hat.
Der Beschluss ist gemäß § 62 Abs. 1 S. 5 ArbGG unanfechtbar. Da dieser allerdings nicht in Rechtskraft erwächst, kann der Antrag erneut gestellt und neue Tatsachen vorgetragen werden. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn sich die tatsächlichen Umstände geändert haben. Dann ist die Entscheidung ggf. abzuändern. Eine außerordentliche Beschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist aufgrund der in § 78a ArbGG geregelten Gehörsrüge ausgeschlossen.
Praxistipp
Ein erst in der Berufungsinstanz erstmals gestellter Auflösungsantrag kann dem Weiterbeschäftigungsanspruch unter Umständen die Grundlage entziehen, indem dieser materiell-rechtliche Einwand im Rahmen der § 62 Abs. 1 S. 3 ZPO i.V.m. §§ 707, 719 ZPO geltend gemacht wird. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG kann der Arbeitgeber – auch erstmals in der Berufungsinstanz – beantragen, dass das Gericht auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses erkennt, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen. Nach dem BAG verschiebt allein die Tatsache, dass dieser Antrag in zulässiger Weise gestellt wurde, die Interessenabwägung, die über das Bestehen des Weiterbeschäftigungsanspruchs entscheidet, wieder zugunsten des Arbeitgebers. Es kann für den Schuldner (Arbeitgeber) in dieser Konstellation sinnvoll sein, das Arbeitsgericht über die Anträge nach § 62 Abs. 1 S. 3 ZPO i.V.m. §§ 707, 719 ZPO sowie § 9 KSchG zügig zu informieren, da der Beschluss des LAG nach § 707 Abs. 2 ZPO ein Vollstreckungshindernis gemäß § 775 Nr. 2 ZPO darstellt und einem Zwangsgeldbeschluss durch das Arbeitsgericht nach § 888 ZPO entgegensteht.