Isabel Hexel, Martina Hidalgo
Rz. 232
Das mit Wirkung zum 1.1.2005 in Kraft getretene Anhörungsrügengesetz eröffnet durch § 78a ArbGG auf entsprechende Rüge der beschwerten Partei den Gerichten für Arbeitssachen aller Instanzen die Möglichkeit der Selbstkorrektur unanfechtbarer instanzbeendender Entscheidungen. Es handelt sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf eigener Art, der von der Gegenvorstellung und der außerordentlichen Beschwerde abzugrenzen ist. Die Rüge dient andererseits nicht dazu, eine aus Sicht des Rügeführers fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Gericht geltend zu machen, durch die sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden ist. Nicht jede falsche Rechtsanwendung durch ein Gericht indiziert eine Verletzung rechtlichen Gehörs des Unterlegenen.
Rz. 233
Die Gehörsrüge kann sich gegen jede arbeitsgerichtliche Endentscheidung richten, gegen die mit einem Rechtsmittel oder Rechtsbehelf nicht vorgegangen werden kann (§ 78a Abs. 1 S. 2 ArbGG). Erfasst werden nicht nur Entscheidungen in der Hauptsache, z.B. nicht berufungsfähige Urteile der Arbeitsgerichte oder Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte im einstweiligen Rechtsschutz; es können auch Entscheidungen zum Gegenstandswert, in einem Prozesskostenhilfeverfahren oder im Verfahren der einstweiligen Verfügung überprüft werden. Bei bloßen Zwischenentscheidungen und verfahrensleitenden Maßnahmen (z.B. Terminierung, Terminsvorbereitung, Beweisaufnahme) besteht die Möglichkeit der Gehörsrüge dagegen nicht.
Die Anhörungsrüge setzt eine Beschwer der rügenden Partei voraus, die sog. Rügeberechtigung.
Rz. 234
Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen zu erheben, spätestens ein Jahr nach Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung. Die Frist beginnt mit der Kenntnis der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (vgl. § 294 ZPO). Hierfür wird regelmäßig der Hinweis auf das Zustelldatum genügen. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.
Rz. 235
Die Anhörungsrüge ist bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss schriftlich erhoben werden und die angegriffene Entscheidung bezeichnen (§ 78a Abs. 2 S. 4 und 5 ArbGG).
Rz. 236
Die Anhörungsrüge muss innerhalb der Zwei-Wochen-Frist auch inhaltlich begründet werden. Der Rügeführer hat darzulegen, aus welchen Umständen sich eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergibt. Macht er geltend, Sachvortrag sei übergangen worden, so muss er diesen konkret bezeichnen und zusätzlich darlegen, dass die Nichtberücksichtigung dieses Sachvortrags entscheidungserheblich ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt aber erst vor, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das zwingt zur sorgfältigen Angabe, wo was vorgetragen worden ist.
Entsprechendes gilt, wenn gerügt wird, ein Beweisantritt sei übergangen worden. Auch hier ist darzulegen, dass der an einer bestimmten Stelle unter Beweis gestellte Sachverhalt schlüssig ist und das Beweismittel die Behauptung bestätigt und so zu einem anderen Prozessausgang geführt hätte.
Wird die Verletzung der Hinweispflicht geltend gemacht, erfordert das die Formulierung der Frage, die das Gericht hätte stellen müssen, die Darstellung der Antwort, die gegeben worden wäre, und die Schlussfolgerung, dass der sich danach ergebende Sachverhalt zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.