Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 161
Ist ein Urteil für beide Parteien berufungsfähig, können beide innerhalb der Berufungsfrist unabhängig voneinander Berufung einlegen. In diesem Fall handelt es sich um prozessual eigenständige Hauptberufungen i.S.v. §§ 64 ff. ArbGG. Über sie wird aber in einem Verfahren verhandelt und entschieden.
Rz. 162
Will eine Partei von der Berufung absehen, wenn auch die Gegenpartei das Urteil hinnimmt, kann sie deren Vorgehen zunächst abwarten. Legt die Gegenpartei Berufung ein, kann sie sich dieser Berufung gegen dasselbe Urteil anschließen. Mit der Anschlussberufung können auch neue Ansprüche geltend gemacht werden. Sie setzt, anders als die Anschlussrevision, keine Beschwer voraus. Dem erstinstanzlich vollumfänglich obsiegenden Kläger steht für eine Klageerweiterung im Berufungsrechtszug nur der Weg der Anschlussberufung offen.
Rz. 163
Die Anschlussberufung muss zum einen die Erklärung enthalten, dass Anschlussberufung eingelegt werde, zum anderen müssen ihr die mit dem Rechtsmittel verfolgten Anträge zu entnehmen sein. Sie wird durch eine innerhalb der Anschließungsfrist einzureichende Anschlussberufungsschrift eingelegt. Nach § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG ist eine Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung (siehe oben Rdn 154). Zwar gilt im arbeitsgerichtlichen Verfahren für die Berufungsbeantwortung die durch § 66 Abs. 1 S. 3 ArbGG bestimmte gesetzliche Frist von einem Monat. Dennoch ist § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO gem. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG im Berufungsverfahren vor dem LAG entsprechend anwendbar. Eine Anschlussberufung, die nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung, bei Verlängerung der Berufungsbeantwortungsfrist nach § 66 Abs. 1 S. 5 ArbGG innerhalb der dann geltenden Frist, eingeht, ist entsprechend § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Das bedeutet, dass der Berufungsbeklagte, der sich der Berufung anschließen möchte, sich spätestens bei Abfassung der Berufungserwiderung mit der Anschlussberufung befassen muss. Die Anschlussberufung ist bereits in der Anschlussschrift zu begründen. Eine Verlängerung der Begründungsfrist kommt nicht in Betracht.
Rz. 164
Die Anschlussberufung ist vom Schicksal der Hauptberufung abhängig. Wird die Berufung zurückgenommen, als unzulässig verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen, verliert die Anschlussberufung ihre Wirkung. Die Anschlussberufung setzt also stets eine zulässige Berufung voraus. Die Differenzierung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Anschlussberufung hat sich durch die ZPO-Reform erübrigt.
Rz. 165
Eine Berufung, die unzulässig ist, weil die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten worden ist, kann ohne Anschließungserklärung nicht als Anschlussberufung ausgelegt werden. Das gilt selbst dann, wenn durch die nachgereichte Berufungsbegründung die Frist für die Einlegung der Anschlussberufung gewahrt wäre.