Isabel Hexel, Martina Hidalgo
Rz. 570
Der eng auszulegende Begriff des nicht zu ersetzenden Nachteils entstammt den §§ 707 Abs. 1 S. 2, 712 Abs. 1 und 719 Abs. 2 ZPO. Ein nicht zu ersetzender Nachteil liegt vor, wenn er durch den Schuldner nicht abgewendet und bei Wegfall des Vollstreckungstitels nicht durch Geld oder andere Mittel ausgeglichen werden kann. Es sollen durch die vorläufige Vollstreckbarkeit keine endgültigen, nicht mehr korrigierbaren Verhältnisse oder Tatsachen geschaffen werden.
(1) Erfolgsaussichten des Rechtsmittels
Rz. 571
Ob die Erfolgsaussichten eines einzulegenden Rechtsmittels gegen das Urteil des Arbeitsgerichts oder Landesarbeitsgerichts bei der Frage nach dem nicht zu ersetzenden Nachteil zu berücksichtigen sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Während diese Frage in der ersten Instanz regelmäßig keine Rolle spielt, kann es darauf jedenfalls in der Berufungsinstanz ankommen, wenn dort ein Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gestellt wird.
Richtigerweise ist hierbei zu differenzieren, da das Rechtsmittelgericht die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels durchaus berücksichtigen kann – nicht muss. Ist nach dem bisherigen Vorbringen somit absehbar, dass das Rechtsmittel keinen Erfolg haben wird, kann durch die vorläufige Vollstreckbarkeit konsequenterweise auch kein nicht zu ersetzender Nachteil entstehen. In jedem Fall muss Berücksichtigung finden, wenn ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung, aus der vollstreckt werden soll, unzulässig ist. Ist die Rechtslage zu Gunsten des Gläubigers eindeutig, spricht dies gegen einen Vollstreckungsausschluss.
(2) Interessenabwägung
Rz. 572
Geht es um die Durchsetzung eines titulierten Anspruchs auf Unterlassung, Duldung oder Vornahme einer Handlung muss richtigerweise eine Abwägung der Interessen des Gläubigers an der Aufrechterhaltung der Vollstreckbarkeit mit denen des Schuldners am Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgen. Denn in derartigen Fällen können die durch die Vollstreckung entstehenden bzw. entstandenen Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Durch die Vollstreckung sollen keine vollendeten, später nicht mehr korrigierbaren Tatsachen geschaffen werden.
(3) Weiterbeschäftigungsantrag
Rz. 573
Häufig stellt der Arbeitnehmer in seiner Kündigungsschutzklage neben dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung auch einen Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens für den Fall, dass er mit seiner Klage obsiegt. Wenn ein Arbeits- oder Landesarbeitsgericht durch Urteil die Unwirksamkeit einer streitgegenständlichen Beendigungskündigung festgestellt hat, besteht nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BAG in der Regel der materielle Weiterbeschäftigungsanspruch, sodass diesem Antrag regelmäßig stattgegeben wird.
In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, ob ein nicht zu ersetzender Nachteil anzunehmen ist, sofern die Rechtsmittelinstanz die Kündigung möglicherweise als wirksam erachtet. Ein nicht zu ersetzender Nachteil wird hier regelmäßig abgelehnt, da der Arbeitgeber durch die Arbeitsleitung eine Gegenleistung für die Vergütung erhalte. Das kann jedoch dann nicht gelten, wenn eine vergleichbare Beschäftigungsmöglichkeit nicht (mehr) besteht und nur für die Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsanspruchs geschaffen werden müsste.
Insbesondere ist die Arbeitsleistung als Gegenleistung für den Arbeitgeber wertlos und gerade kontraproduktiv, wenn etwa aus begründetem Anlass zu befürchten ist, dass die Weiterbeschäftigung schwerwiegende negative Auswirkungen auf das Betriebsklima haben könnte oder dem Arbeitnehmer etwa schwerwiegende Untreuehandlungen vorgeworfen werden.
Derartige Fallkonstellationen sind in der Praxis durchaus nicht selten. In diesen Fällen wird in aller Regel vom Arbeitnehmer kein Ersatz zu erlangen sein. Der Arbeitgeber sollte dann bereits im Kündigungsschutzprozess zusätzliche, über die Ungewissheit des Prozessausgangs in der Rechtsmittelinstanz hinausgehende Umstände vortragen, die gegen eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens sprechen.