Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
1. Allgemeine Einführung
Rz. 593
Während des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer nicht nur einen Anspruch auf Vergütung, sondern auch einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung. Der Beschäftigungsanspruch ist Ausfluss des grundgesetzlich abgesicherten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers. Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen oder keinen vertragsgemäßen Arbeitsplatz zur Verfügung, so gerät er nicht nur in Annahmeverzug, sondern verletzt zugleich den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Nur in Ausnahmefällen ist der Arbeitgeber zur einseitigen Freistellung des Arbeitnehmers berechtigt. Grundsätzlich besteht der Beschäftigungsanspruch auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fort.
Mit Ablauf der Kündigungsfrist endet der Beschäftigungsanspruch. Ist die Wirksamkeit der Kündigung streitig, so hat der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen einen Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch kann gemäß § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG bestehen, wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und formgerecht widersprochen hat. Außerdem gibt es einen richterrechtlich anerkannten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch. Danach hat der Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Kündigungsfrist einen Anspruch auf Beschäftigung, wenn die Kündigung offensichtlich rechtsunwirksam oder rechtsmissbräuchlich ist oder der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren erster Instanz obsiegt hat.
Sowohl der Beschäftigungs- als auch der Weiterbeschäftigungsanspruch können als isolierte Leistungsklage oder verbunden mit einer Kündigungsschutzklage gerichtlich geltend gemacht werden. Wegen der langen Prozessdauer bietet das Hauptsacheverfahren allerdings häufig keinen effektiven Rechtsschutz. Wird der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist freigestellt, so ist die Kündigungsfrist regelmäßig bereits abgelaufen, bevor eine erstinstanzliche Entscheidung ergeht. Der Beschäftigungsanspruch wird daher in der Praxis regelmäßig im Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht.
2. Fallgruppen Beschäftigungsanspruch
a) Nichtbeschäftigung während des ungekündigten Arbeitsverhältnisses
Rz. 594
Wird der Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht beschäftigt, so hat er grundsätzlich einen Verfügungsanspruch. Der Arbeitgeber hat nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen das Recht, den Arbeitnehmer während des (noch) ungekündigten Arbeitsverhältnisses einseitig zu suspendieren. Dies gilt auch für leitende Angestellte und Führungskräfte. Ein den Arbeitgeber zur Freistellung berechtigendes Interesse wird übereinstimmend ausnahmsweise bejaht, wenn ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 BGB vorliegt, der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung aber erst eine behördliche Genehmigung einholen muss, ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG durchführen muss oder die Freistellung ein milderes Mittel gegenüber einer sofortigen Verdachtskündigung darstellt.
Der Beschäftigungsanspruch ist dispositiv, so dass Vereinbarungen über die Freistellung des Arbeitnehmers zulässig sind. Unwirksam sind allerdings Klauseln, mit denen sich der Arbeitgeber die jederzeitige Freistellung des Arbeitnehmers bereits im Arbeitsvertrag vorbehält. Eine solche globale Freistellungsklausel schränkt die Rechte des Arbeitnehmers unangemessen stark ein und hält daher der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB nicht stand.
Umstritten ist, ob bei der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers ein Verfügungsgrund schon deshalb immer besteht, weil der Beschäftigungsanspruch durch Zeitablauf unwiederbringlich verloren geht. Die überwiegende Ansicht verneint dies und verlangt für einen Verfügungsgrund die Darlegung eines besonderen Beschäftigungsbedürfnisses, d.h. der Arbeitnehmer muss darlegen und glaubhaft machen, dass er auf die Erfüllung seines Beschäftigungsanspruchs dringend angewiesen ist, etwa um berufliche Chancen zu erhalten, weil er sonst Nachteile erleidet. Die bloße Vereitelung eines Erfüllungsanspruchs stelle keinen wesentlichen Nachteil im Sinne des § 940 ZPO dar. Vom Arbeitnehmer sollten daher in der Antragsschrift Tatsachen glaubhaft gemacht werden, weshalb eine Entscheidung im Eilverfahren zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich ist. Dies kann beispielsweise damit begründet werden, dass die Nichtbeschäftigung den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen oder bei Aufrechterhaltung seiner Qualifikationen beeinträchtigt. Ferner ist – insbesondere bei Führungskräften – auch eine Berufung auf den mit der Freistellung verbundenen Reputations- und Ansehensverlust denkbar. Bei Betriebs- und Personalräten kann ein besonderes Interesse mit der Wahrnehmung der Amtsauf...