Isabel Hexel, Martina Hidalgo
1. Grundsätze
Rz. 568
Sämtliche End- und Teilurteile der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte sind nach § 62 Abs. 1 S.1 ArbGG kraft Gesetzes vorläufig vollstreckbar, auch wenn sie noch nicht rechtskräftig sind. Eine dem Gesetz widersprechende Regelung im Urteil ist nicht möglich. Hierbei handelt es sich um einen der bedeutendsten Unterschiede zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Zwischenurteile nach § 304 ZPO sind jedoch nicht vorläufig vollstreckbar. Zu den vorläufig vollstreckbaren Urteilen zählen Versäumnisurteile sowie Urteile gemäß den §§ 9, 10 KSchG, in denen das Arbeitsverhältnis aufgelöst und der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verurteilt worden ist. Ein gesonderter Antrag zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist nicht erforderlich. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im arbeitsgerichtlichen Urteil ist nur dann notwendig enthalten, wenn diese nach § 61 Abs. 1 S. S. 2 ArbGG ausgeschlossen werden soll. Die Vorschriften der §§ 708 bis 716 ZPO finden wegen § 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG keine Anwendung.
Neben einem tauglichen Vollstreckungstitel ist die Vorläufigkeit weitere Voraussetzung für § 62 Abs. 1 ArbGG. Die Entscheidung darf also noch nicht rechtskräftig sein. Darüber hinaus muss der Titel einen vollstreckbaren Inhalt haben, d.h. ausreichend bestimmt sein. Dafür ist bei Urteilen der Tenor ausschlaggebend. Feststellungsurteilen fehlt es üblicherweise an einem vollstreckungsfähigen Inhalt. Bei gerichtlichen Vergleichen kommt es auf den protokollierten Inhalt an.
Ferner ist die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung mit einer Vollstreckungsklausel notwendig, die nur auf Antrag erteilt wird. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle muss prüfen, ob der Titel einen vollstreckbaren Inhalt aufweist und ggf. bereits eine vollstreckbare Ausfertigung existiert. Schließlich bedarf es der Zustellung an den Schuldner, welche von Amts wegen erfolgt. Sie kann auch schon vor der Zwangsvollstreckung erfolgen.
2. Vollstreckungsschutzanträge
a) Antrag auf Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG
aa) Allgemeines
Rz. 569
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist im Urteil nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG auszuschließen, wenn der Vollstreckungsschuldner einen entsprechenden Antrag stellt, er darlegt, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und er dies nach § 294 ZPO glaubhaft macht.
Der Antrag der beklagten bzw. widerbeklagten Partei muss bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz oder in der Berufungsinstanz gestellt werden. Eine Antragstellung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ist selbst dann nicht mehr möglich, wenn sich erst im Nachhinein herausstellt, dass ein nicht zu ersetzender Nachteil durch die Zwangsvollstreckung eintreten würde.
Die Entscheidung über den Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit ist in den Urteilstenor mit aufzunehmen und in den Entscheidungsgründen zu begründen. Sofern die Klage abgewiesen wird, wird über den Antrag konsequenterweise nicht entschieden.
Praxistipp
Der Antrag auf Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit lebt in der Berufungsinstanz nicht ohne Weiteres wieder auf. Er sollte deshalb zweckmäßigerweise in der Berufungsinstanz neben dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung (als Hilfsantrag in der Berufungserwiderung) neu gestellt werden.
Die tatsächlichen Voraussetzungen für den Antrag müssen mit den in der ZPO vorgesehenen präsenten Beweismitteln sowie der Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht werden. Daneben können auch schriftliche Aussagen von Zeugen dienlich sein. Eine (zusätzliche) Glaubhaftmachung ist nicht notwendig, wenn sich die Voraussetzungen bereits aus dem Akteninhalt ergeben.
Wird der Antrag auf Ausschluss der vorläufigen Vollstreckbarkeit durch das Gericht (versehentlich) nicht beschieden oder gar übergangen, ist das Urteil unter den Voraussetzungen der §§ 319, 321 ZPO ggf. zu berichtigen bzw. zu ergänzen. Der Ausschluss der Vollstreckbarkeit erfolgt nach § 62 Abs. 1 S. 4 ArbGG ohne Sicherheitsleistung und kann auf bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen beschränkt werden. Die Entscheidung nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG ist nicht isoliert anfechtbar.
Wurde ein Antrag nach § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG nicht rechtzeitig gestellt oder wurde dieser negativ beschieden, kommt nach Erlass des erst- oder zweitinstanzlichen Urteils nur noch die nachträgliche Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Berufungsinstanz nach § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG i.V.m. den §§ 707 Abs. 1, 719 Abs. 1 ZPO in Betracht.