1. Typischer Sachverhalt

 

Rz. 321

Ein in der Automobilindustrie tätiges Unternehmen mit ca. 200 Mitarbeitern plant das Werk A zum 30.6.2020 zu schließen und sämtliche Mitarbeiter dieses Werkes zu entlassen, um die Produktion ins Ausland zu verlagern. Am 10.12.2019 setzt der Personalleiter des Unternehmens den zuständigen Betriebsrat von der Entscheidung der Geschäftsleitung in Kenntnis. Er teilt dem Betriebsrat mit, dass er anlässlich der geplanten Betriebsänderung mit ihm über einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln wolle. Er übersendet dem Betriebsrat in Folge eine E-Mail mit dem sog. Whitebook, in der der Personalleiter auch den Fachanwalt für Arbeitsrecht (…) einkopiert. Der Betriebsrat beschließt daraufhin am 12.12.2019, den Fachanwalt für Arbeitsrecht (…) als Sachverständigen gem. § 80 Abs. 3 BetrVG für die Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan hinzuzuziehen. Dieser wurde auch schon in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen mehrfach auf Basis einer Honorarvereinbarung zu einem Stundensatz von 250 EUR auf Seiten des Betriebsrates als Sachverständiger hinzugezogen und ist daher mit den Gegebenheiten im Unternehmen bereits vertraut. Obwohl das Unternehmen in der Vergangenheit die Hinzuziehung besagten Rechtsanwalts auf Basis einer identischen Honorarvereinbarung stets akzeptiert hatte, lehnt der Personalleiter dieses Mal jedoch eine Vereinbarung über die Hinzuziehung des Rechtsanwalts kategorisch ab. Daraufhin stellt der Betriebsrat beim zuständigen Arbeitsgericht einen Antrag auf Gestattung der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständigen.

2. Rechtliche Grundlagen

 

Rz. 322

Im Rahmen seiner Tätigkeit kann der Betriebsrat mit komplexen rechtlichen Fragestellungen konfrontiert sein, zu deren Erörterung und Lösung er auf die Beratung eines externen Rechtsanwalts angewiesen ist. Aus diesem Grund räumt § 80 Abs. 3 BetrVG dem Betriebsrat das Recht ein, bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber einen Sachverständigen hinzuzuziehen, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Als Sachverständiger kommt grundsätzlich nur eine Person in Betracht, die dem Betriebsrat ihm fehlende Fachkenntnisse zur Beantwortung konkreter, aktueller Fragen vermitteln soll, damit der Betriebsrat die ihm obliegende betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe sachgerecht erfüllen kann.[752] Der Sachverständige muss kein Betriebsangehöriger sein. Auch Rechtsanwälte können als Sachverständige fungieren, wenn es darum geht, dem Betriebsrat fehlende Rechtskenntnisse zu vermitteln.[753] Der Sachverständige braucht nicht "neutral" zu sein, so können z.B. auch Gewerkschaftsvertreter als Sachverständige fungieren.[754] Liegen die im Folgenden beschriebenen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 BetrVG vor, sind die durch die Beratung des Rechtsanwalts entstandenen Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG vom Arbeitgeber zu tragen. § 80 Abs. 3 BetrVG findet im Übrigen auch entsprechend Anwendung auf die Hinzuziehung von Sachverständigen durch den Wahlvorstand.[755]

[752] BAG 19.4.1989 – 7 ABR 87/87, AP Nr. 35 zu § 80 BetrVG 1972; BAG 25.4.1978, AP Nr. 11 zu § 80 BetrVG 1972.
[753] BAG 25.4.1978 – 6 ABR 9/75, AP Nr. 11 zu § 80 BetrVG 1972.

a) Konkreter Bezug zu Betriebsratsaufgaben

 

Rz. 323

Ein Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts besteht nur, wenn dieser den Betriebsrat bei der Erfüllung einer konkreten betriebsverfassungsrechtlichen Aufgabe unterstützen soll.[756] Nicht von dem Anspruch aus § 80 Abs. 3 BetrVG erfasst ist daher die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur allgemeinen Vermittlung von Fachkenntnissen ohne konkreten Aufgabenbezug quasi auf Vorrat.[757] Diese allgemeinen Kenntnisse ohne konkreten betrieblichen Aufgabenbezug werden den Betriebsratsmitgliedern auf Schulungen vermittelt, auf die diese sowie der Betriebsrat als Organ nach § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG einen Anspruch haben.[758] Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein, da der Betriebsrat zur Frage, welche Mitbestimmungsrechte allgemein bei Betriebsänderungen bestehen, keinen Sachverständigen hinzuziehen kann. Ist aber wie im oben genannten Beispiel der Betriebsrat mit der Aufforderung zur Verhandlung durch den Arbeitgeber konfrontiert und besteht somit ein Bezug zur konkreten Betriebsratsaufgabe, muss sich der Betriebsrat nicht auf den Schulungsanspruch verweisen lassen.[759]

Zudem muss die Hinzuziehung des Rechtsanwalts unabhängig von einem konkreten Rechtsstreit erfolgen. Wird ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter in einem Beschluss- oder Einigungsstellenverfahren oder auch nur zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung in einem konkreten Konfliktfall hinzugezogen, findet ausschließlich § 40 BetrVG Anwendung.[760] Die Grenze zur Tätigkeit als Sachverständiger wird erst überschritten, wenn der Rechtsanwalt losgelöst von konkreten Konfliktfällen zur Beratung hinzugezogen wird.[761] Eine Tätigkeit als Sachverständiger nach § 80 Abs. 3 BetrVG bzw. als Berater nach § 111 S. 2 BetrVG

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