Isabel Hexel, Martina Hidalgo
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 238
Die Geschäftsführerin der G-GmbH ist auf der Grundlage eines auf drei Jahre befristeten Dienstvertrags angestellt. Nach Ablauf des ersten Jahres beruft die Gesellschafterversammlung sie mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt ab und kündigt den Dienstvertrag außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund. Aufgrund der damit einhergehenden Einstellung der Gehaltszahlungen drohen der Geschäftsführerin wirtschaftliche Schwierigkeiten.
2. Einleitung
Rz. 239
Will sich die Gesellschaft – gleich ob GmbH oder AG – von ihrem Geschäftsführungsorgan trennen, erfolgt dies häufig durch sofortige Abberufung und Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung des Anstellungsverhältnisses. Grund hierfür ist, dass Anstellungsverträge mit Geschäftsführungsorganen im Hinblick auf den fehlenden Kündigungsschutz (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG) häufig mit relativ langer Vertragslaufzeit ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit oder mit langer Kündigungsfrist vereinbart werden. Die außerordentliche Kündigung ist für die Gesellschaft dann die einzige Chance, sich den oftmals erheblichen Vergütungsansprüchen für die Restlaufzeit bzw. die Dauer der Kündigungsfrist zu entziehen. Die plötzliche Einstellung der Gehaltszahlungen führt auf Seiten des Organs häufig zu einem (seitens der Gesellschaft meist beabsichtigten) erheblichen Vergleichsdruck. Sofern nicht vertraglich ausgeschlossen, bietet eine Klage im Urkundenprozess gem. §§ 592 ff. ZPO die Möglichkeit, die Fortzahlung des Gehaltes zumindest vorläufig auf schnellem Wege durchzusetzen. Sie kann dadurch gleichzeitig ein wirkungsvolles Mittel sein, um im Rahmen von Vergleichsverhandlungen Gegendruck aufzubauen.
Rz. 240
Das Verfahren gliedert sich in ein Vor- und ein Nachverfahren. Dabei ist das Vorverfahren der eigentliche Urkundenprozess, in dem die Beweismittel grundsätzlich auf Urkunden beschränkt sind. Die Klage ist vor dem örtlich zuständigen Landgericht zu erheben, wobei sich im Hinblick auf die Verweisungspflicht des § 98 Abs. 1 S. 1 GVG eine Klage vor der Kammer für Handelssachen gem. §§ 96, 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG empfiehlt.
Praxishinweis
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist der Urkundenprozess gem. § 46 Abs. 2 S. 2 ArbGG ausgeschlossen. Arbeitnehmer haben daher im Gegensatz zu Organmitgliedern, die grundsätzlich nicht unter das ArbGG fallen (§ 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG), keine Möglichkeit, Vergütungsansprüche nach fristloser Kündigung im Urkundenprozess geltend zu machen.
3. Zulässigkeit, insbesondere: Statthaftigkeit
Rz. 241
Nach §§ 592, 597 Abs. 2 ZPO kann ein Anspruch, welcher die Zahlung einer bestimmten Geldsumme zum Gegenstand hat, im Urkundenprozess geltend gemacht werden, wenn die sämtlichen zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Diese Voraussetzungen sind bei einer auf §§ 611, 615 BGB gestützten Vergütungsklage regelmäßig erfüllt. Es ist daher anerkannt, dass Vergütungsansprüche von Geschäftsführungsorganen im Urkundenprozess verfolgt werden können.
Rz. 242
Praxishinweis:
Gemäß § 593 Abs. 1 ZPO muss die Klageschrift die ausdrückliche Erklärung enthalten, dass im Urkundenprozess geklagt wird. Ferner müssen der Klageschrift gemäß § 593 Abs. 2 ZPO Kopien der anspruchsrelevanten Urkunden beigefügt werden. Diese müssen grundsätzlich nicht beglaubigt sein. Nach Auffassung einiger Oberlandesgerichte muss allerdings mindestens eine Urkunde im Original oder in beglaubigter Kopie mit der Klageschrift vorgelegt werden. Bestreitet die beklagte Gesellschaft die Tatsachen, die durch die Urkunden belegt werden sollen, müssen im Termin zur mündlichen Verhandlung die Originale vorgelegt werden, § 595 Abs. 3 ZPO. Abschriften, auch beglaubigte, reichen dann nicht.
Rz. 243
Aus Sicht des Organs stellt sich die Frage, ob die Vergütung für die gesamte, teilweise in der Zukunft liegende Restlaufzeit des Anstellungsvertrags im Urkundenprozess geltend gemacht werden kann. Nach herrschender Meinung ist eine Klage auf zukünftige Vergütungsleistungen im Urkundenprozess unstatthaft. Nur bereits fällige Vergütungsansprüche können danach im Urkundenprozess eingeklagt werden. Die §§ 257 ff. ZPO sind zwar auch im Urkundenprozess grundsätzlich anwendbar. Der insoweit allein in Betracht kommende § 259 ZPO setzt allerdings voraus, dass der geltend gemachte Anspruch bereits entstanden ist. Der Vergütungsanspruch entsteht jedoch erst mit Erbringung der Dienstleistung bzw. Vorliegen der Voraussetzungen des Annahmeverzugs für den betreffenden Zeitraum. Eine Klage auf zukünftige Vergütungsleistungen birgt somit ein erhebliches Prozessrisiko.
Rz. 244
Wie im regulären Verfahren wird die Klage regelmäßig auf die Zahlung eines Bruttobetrags gerichtet sein. Das OLG Düsseld...