Isabel Hexel, Martina Hidalgo
1. Allgemeines
a) Typischer Sachverhalt
Rz. 658
In einem Einzelhandelsbetrieb plant der zuständige Betriebsrat, am 19.12.2020 um 10.00 Uhr eine ordentliche Betriebsversammlung abzuhalten. Mit Schreiben vom 10.12.2020 teilt er dem Arbeitgeber dies mit. Der ist angesichts der Beeinträchtigung des umsatzstarken Weihnachtsgeschäfts nicht einverstanden und bittet den Betriebsrat am 12.12.2020 um einen Termin außerhalb des Weihnachtsgeschäfts. Der Betriebsrat lehnt dies noch am selben Tag ab. Er habe im Kalenderjahr die ihm zustehenden Betriebsversammlungen noch nicht durchgeführt. Der Arbeitgeber beantragt daraufhin am 15.12.2020 bei dem zuständigen ArbG den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der für den 19.12.2020 einberufenen Betriebsversammlung.
b) Rechtliche Grundlagen
Rz. 659
Im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsversammlung nach §§ 42 ff. BetrVG ist das Rechtsschutzmittel der einstweiligen Verfügung von hoher praktischer Relevanz. Der Arbeitgeber wird häufig nämlich nur kurzfristig über geplante Versammlungen informiert. Ein Hauptsacheverfahren dauert daher zu lange. Der Verfügungsantrag kann sich gegen die generelle Durchführung einer bestimmten Betriebsversammlung oder ihre Durchführung im Speziellen, insbesondere die geplanten Tagesordnungspunkte, den Teilnehmerkreis, eine Fortsetzung sowie wie im Beispielsfall deren Zeitpunkt richten. Unbeachtlich ist grds., ob gegen eine ordentliche oder außerordentliche Betriebs-, eine Teil- oder eine Abteilungsversammlung vorgegangen werden soll. Während der Pandemie bedingten Geltung des aktuellen § 129 BetrVG dürfen nach dessen Abs. 3 Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, sofern sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis vom Inhalt der Versammlung nehmen können; Aufzeichnungen sind unzulässig. Das kann während der Geltung der Norm zu Auseinandersetzungen auch im Verfügungsverfahren führen, etwa wenn der Arbeitgeber eine vom Betriebsrat geplante Präsenz-Versammlung durch eine (kostengünstige) Online Versammlung ersetzt wissen will.
Rz. 660
Praxistipp
Da dem Betriebsrat das Hausrecht der Betriebsversammlung zusteht, sind umgekehrte Konstellationen, dass nämlich der Betriebsrat im Wege der einstweiligen Verfügung versucht, eine Betriebsversammlung effektiv durchzusetzen, die Ausnahme. Der Betriebsrat beschließt die Durchführung und setzt den Beschluss um. Ist der Arbeitgeber nicht einverstanden, muss er gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das BAG gewährt ihm grds. Anspruch auf eine Feststellungsverfügung, obgleich § 23 BetrVG dem Arbeitgeber keinen Unterlassungsanspruch einräumt. Der Arbeitgeber sollte daher jedenfalls hilfsweise für den Fall, dass keine Unterlassungsverfügung gewährt wird eine Feststellungsverfügung anhängig machen (s.u. Muster).
aa) Verfügungsanspruch
Rz. 661
Eine einstweilige Verfügung gegen die generelle Durchführung einer Versammlung kommt allenfalls in Betracht, wenn die Versammlung selbst rechtsgrundlos erscheint. Bei den regelmäßigen, vierteljährlich abzuhaltenden Betriebsversammlungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG wird das nur ausnahmsweise der Fall sein.
Rz. 662
Praktisch relevant ist der einstweilige Rechtsschutz gegen die Abhaltung zusätzlicher Betriebsversammlungen. Der Betriebsrat darf sie einmal pro Kalenderhalbjahr neben den regelmäßigen Betriebsversammlungen abhalten, wenn dies aus besonderen Gründen als zweckmäßig erscheint (§ 43 Abs. 1 S. 4 BetrVG). Besondere Gründe liegen vor, wenn außergewöhnliche Vorkommnisse zu einem Bedürfnis nach zusätzlicher Information und zusätzlichem Meinungsaustausch der Belegschaft führen, die einen Aufschub bis zur nächsten ordentlichen Betriebsversammlung auch unter der Berücksichtigung weiterer Informationsmöglichkeiten ausschließen. Eine zusätzliche Betriebsversammlung wird daher bspw. anlässlich von Betriebsänderungen geboten sein. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende Konkretisierung der arbeitgeberseitig...