Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 355
A ist eine Fluggesellschaft mit einem Betrieb auch in Düsseldorf. Anfang März 2023 kündigt die dem Düsseldorfer Betrieb zugeordnete Vertriebsleiterin für Nordrhein-Westfalen ihren Arbeitsvertrag zum 31.8.2023. Die Personalabteilung versucht, schnell Ersatz zu bekommen. Sie schreibt die Stelle betriebsintern (§ 93 BetrVG) und extern aus. Schon im Mai 2023 kommt es zu Gesprächen mit verschiedenen externen wie internen Bewerbern. A entscheidet sich für einen externen Bewerber, der am 1.9.2023 anfangen kann, und hört am 22.5.2023 den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu der Einstellung und Eingruppierung an. Der Betriebsrat lehnt am 29.5.2023 die Zustimmung zu der Einstellung ab, weil ein interner Bewerber, der bisherige stellvertretende Vertriebsleiter für Nordrhein-Westfalen, besser geeignet wäre. Dieser werde durch die beabsichtigte Einstellung benachteiligt, da er nicht auf die offene Position des Vertriebsleiters für Nordrhein-Westfalen aufrücken kann. Zur beabsichtigten Eingruppierung nimmt der Betriebsrat keine Stellung.
2. Rechtliche Grundlagen
a) Gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren
Rz. 356
Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Einstellung, Versetzung, Eingruppierung oder Umgruppierung, so kann der Arbeitgeber sanktionslos von der Maßnahme Abstand nehmen. Anderes gilt nur, wenn er dem betreffenden Mitarbeiter gegenüber ausnahmsweise verpflichtet ist, ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten. Der Arbeitgeber kann aber auch von sich aus ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten. Ist die Zustimmung des Betriebsrats rechtskräftig ersetzt, kann der Arbeitgeber die personelle Maßnahme durchführen. Eine vorherige Durchführung ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine vorläufige personelle Maßnahme des § 100 BetrVG vorliegen (siehe dazu Rdn 366). Der Arbeitgeber kann, wenn die Wirksamkeit der Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats zweifelhaft ist, auch den Hauptantrag stellen, dass die Zustimmung des Betriebsrats als erteilt gilt; als Hilfsantrag wird dann die Ersetzung der Zustimmung beantragt (siehe dazu Rdn 367).
Die Einleitung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens unterliegt keiner Frist. Das kann also auch noch Wochen und Monate nach Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat geschehen. Anders ist es nur, wenn der Arbeitgeber auch eine vorläufige personelle Maßnahme durchführen will, welcher der Betriebsrat widerspricht (siehe dazu Rdn 366).
Eine solche vorläufige personelle Maßnahme kann er auch noch im laufenden Zustimmungsersetzungsprozess durchführen. Verweigert der Betriebsrat auch die Zustimmung zur vorläufigen personellen Maßnahme, muss der erforderliche Feststellungsantrag nach § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG im laufenden Zustimmungsersetzungsprozess anhängig gemacht werden.
b) Darlegungs- und Beweislast
Rz. 357
Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ermittelt das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Ergänzend dazu gelten im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 BetrVG folgende Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast der Parteien:
Der Arbeitgeber hat darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Betriebsrat zu der personellen Maßnahme ordnungsgemäß angehört wurde. Der Betriebsrat hat darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er frist- und formgemäß widersprochen hat. Hinsichtlich des Vorliegens/Nichtvorliegens von Zustimmungsverweigerungsgründen ist die Darlegungs- und Beweislast umstritten. Die überwiegende Auffassung geht davon aus, dass sie den Arbeitgeber trifft.
Bei seiner Entscheidung berücksichtigt das Arbeitsgericht trotz Amtsermittlungsgrundsatzes allerdings nur die im Widerspruchsschreiben des Betriebsrats innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG geltend gemachten Zustimmungsverweigerungsgründe. Es findet also keine umfassende Rechtsprüfung statt; der Betriebsrat kann auch keine Widerspruchsgründe nachschieben.