Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 364
A ist eine Fluggesellschaft mit einem Betrieb auch in Düsseldorf. Anfang März 2023 kündigt die dem Düsseldorfer Betrieb zugeordnete Vertriebsleiterin für Nordrhein-Westfalen ihren Arbeitsvertrag zum 31.8.2023. Die Personalabteilung versucht Ersatz zu bekommen. Sie schreibt die Stelle betriebsintern (§ 93 BetrVG) und extern aus. Im Juli 2023 kommt es zu Gesprächen mit verschiedenen externen und einem internen Bewerber, dem bisherigen stellvertretenden Vertriebsleiter. A entscheidet sich für einen externen Bewerber, der am 1.9.2023 anfangen kann, und hört am 7.8.2023 den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu der Einstellung und Eingruppierung an. Der Betriebsrat lehnt am 14.8.2023 die Zustimmung zur Einstellung ab, weil die Belegschaft durch den externen Bewerber benachteiligt werde. Zur beabsichtigten Eingruppierung nimmt der Betriebsrat keine Stellung.
Am 21.8.2023 teilt die Personalabteilung dem Betriebsrat gemäß § 100 BetrVG mit, dass sie den neuen Vertriebsleiter für Nordrhein-Westfalen zum 1.9.2023 vorläufig einstellen wird. Dies sei aus sachlichen Gründen dringend erforderlich, weil die Stelle unbedingt besetzt werden müsse. Das führt sie in dem Mitteilungsschreiben näher aus. Außerdem weist die Geschäftsleitung auf die Gefahr hin, dass der ausgewählte Bewerber abspringen würde, wenn er nicht unverzüglich eingestellt werde. Am 23.8.2023 bestreitet der Betriebsrat die Dringlichkeit der vorläufigen Einstellung, weil sich die Personalabteilung bei der Bewerbersuche zu viel Zeit gelassen und sich selbst zeitlich in Bedrängnis gebracht habe.
2. Rechtliche Grundlagen
a) Gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren
Rz. 365
Wegen des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens ist auf obige Ausführungen (siehe Rdn 356 ff.) zu verweisen.
b) Feststellung der Dringlichkeit einer vorläufigen personellen Maßnahme
Rz. 366
Möchte der Arbeitgeber die personelle Maßnahme schon durchführen, ehe das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet oder ein laufendes Zustimmungsersetzungsverfahren rechtskräftig entschieden ist, kommt eine vorläufige personelle Maßnahme in Betracht, § 100 BetrVG. Voraussetzung ist, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist. Eine solche vorläufige personelle Maßnahme kann bzw. muss allerdings nur für Versetzungen und Einstellungen, nicht aber für Ein- und Umgruppierungen durchgeführt werden (vgl. Rdn 387 ff., 420 ff.). Die sachliche Dringlichkeit kann auf mannigfachen Gründen beruhen. Von den Gerichten werden solche Gründe schnell akzeptiert. Ob dies auf einem Verständnis für die betrieblichen Notwendigkeiten beruht oder ob diese Sicht der Arbeitsgerichte zu kritisieren ist, sei hier offengelassen.
Bestreitet der Betriebsrat die sachliche Rechtfertigung für die vorläufige personelle Maßnahme nicht oder nicht unverzüglich, so darf der Arbeitgeber diese durchführen. Er ist dann auch nicht gezwungen, binnen drei Kalendertagen ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten; § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG ist nicht anwendbar. Zögert der Arbeitgeber das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren allerdings unangemessen hinaus, so kann der Betriebsrat dem mit einem Antrag nach § 101 BetrVG begegnen.
Bestreitet der Betriebsrat unverzüglich die sachliche Rechtfertigung der personellen Eilmaßnahme, muss sich der Arbeitgeber binnen drei Kalendertagen entscheiden: Entweder er verzichtet auf die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahme, dann muss er warten, bis das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren abgeschlossen ist. Oder er führt die personelle Maßnahme vorläufig durch. Dann muss er binnen drei Kalendertagen nach Ablehnung des Betriebsrats (Achtung: Samstag, Sonntag und Feiertage zählen mit, es sei denn, sie liegen am Ende der Frist) beim Arbeitsgericht die Feststellung beantragen, dass die vorläufige personelle Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, § 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG. Innerhalb der Dreitagesfrist hat der Arbeitgeber auch das Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten. Der Arbeitgeber muss beide Anträge in dem gleichen Verfahren stellen. Hatte der Arbeitgeber bereits vorher ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet, muss der Feststellungsantrag binnen der auch dann maßgeblichen Dreitagesfrist in diesem Verfahren gestellt werden.
Unklarheiten wegen der Dreitagesfrist des § 100 Abs. 3 S. 2 BetrVG können entstehen, wenn der Arbeitgeber
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zeitgleich den Betriebsrat um Zustimmung zu der personellen Maßnahme nach § 99 BetrVG und die vorläufige personelle Maßnahme nach § 100 BetrVG anhört, der Betriebsrat aber vorab nur die Zustimmung zur vorläufigen personellen Maßnahme verweigert; |
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vorab den Betriebsrat zur vorläufigen personellen Maßnahme nach § 100 BetrVG und erst später zur personellen Maßnahme nach § 99 BetrVG anhört. |
In diesen Fällen kann der Arbeitgeber nach drei Tagen zwar den Antrag auf Feststellung der Dringlichkeit der vorläufigen personellen Maßnahme stellen, aber nicht den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats; denn das außergerichtliche Zustimmungsverfahren nach § 99 BetrVG ist zu diesem Zeitpunkt no...