Rz. 279
Die Doppelnatur des Prozessvergleiches (einerseits Vollstreckungstitel, andererseits materiell-rechtliche Vereinbarung der Parteien) führt zu unterschiedlichen Auslegungskriterien: Während der Vergleich als Vollstreckungstitel einer Auslegung nach den für die Urteilsauslegung geltenden Grundsätzen zugänglich ist, gelten für ihn als privatrechtlichen Vertrag auch die materiell-rechtlichen Regeln. Inhalt und Umfang der materiell-rechtlichen Vereinbarung einerseits, und des prozessualen Vertrages als Vollstreckungstitel andererseits, können dabei durchaus auseinander fallen.
Rz. 280
Zur Abänderung § 2 Rdn 1370.
Rz. 281
Für die Auslegung eines gerichtlichen Vergleiches gelten zunächst die Auslegungsregeln für privatrechtliche Verträge. Dabei ist aber letztlich allein auf den protokollierten Inhalt abzustellen, ohne dass auf die Prozessakten, die zuvor gestellten Anträge und ihre Begründung zurückgegriffen werden kann. Anders als bei einem streitigen Urteil, zu dessen Auslegung der Tatbestand und die Entscheidungsgründe herangezogen werden können, lassen nämlich bei einem Vergleich außerhalb seines Wortlautes liegende Umstände keinen hinreichend sicheren Schluss darauf zu, welche Ansprüche die Parteien einvernehmlich hatten erledigen wollen.
Rz. 282
Das Prozedere des gerichtlichen Protokolls regeln §§ 160 ff. ZPO, die Protokollberichtigung § 164 ZPO. § 164 ZPO setzt voraus, dass das Protokoll unrichtig ist, sein Inhalt (§ 160 ZPO) also nicht dem entspricht, was tatsächlich in der mündlichen Verhandlung vorgegangen ist.
Rz. 283
Protokollierte gerichtliche Vergleiche können nicht in entsprechender Anwendung von § 319 ZPO (Urteilsberichtigung) wegen offensichtlicher Unrichtigkeit durch Beschluss berichtigt werden. Die gesetzliche Regelung ist auf Urteile zugeschnitten, bei denen wegen der Rechtskraftwirkung die Gefahr besteht, dass derartige Fehler unkorrigierbar bleiben. Das ist auf gerichtliche Vergleiche nicht übertragbar. Hier gelten die materiell-rechtlichen Bestimmungen über rechtsgeschäftliche Vereinbarungen, sodass das tatsächlich Gewollte sich auch gegen den protokollierten Vergleichstext durchsetzen kann. Der Prozessvergleich ist materieller und prozessualer Vertrag – und keine gerichtliche Entscheidung. Es verstößt deshalb gegen das Willkürverbot, z.B. einen allseits unerkannt gebliebenen Rechenfehler in einem vorgelesenen und von den Parteien genehmigten Prozessvergleich in entsprechender Anwendung von § 319 ZPO zu berichtigen. Sind Erklärungen der Parteien unzutreffend in den Vergleich aufgenommen, ist das Protokoll, in dem der Vergleich festgestellt sein muss (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), nach § 164 ZPO zu berichtigen. Ist ein Vergleich im Protokoll so niedergelegt, wie ihn die Parteien nach dem Verlesen genehmigt haben, entfällt eine Berichtigung auch bei Rechenfehlern; es kann aber eine materiell-rechtliche Korrektur gemäß § 313 BGB in Betracht kommen.
Rz. 284
Bei der Auslegung eines Prozessvergleichs trifft die Beweislast für einen abweichenden Vereinbarungsinhalt diejenige Partei, die sich auf sie beruft.
Rz. 285
Hinweis
Auch wenn mit dem Erzielen einer einvernehmlichen Erledigung eine gewisse Erleichterung bei den Prozessparteien eintritt, sollte doch bei der Protokollierung des Vergleiches gut und konzentriert zugehört werden. Nicht selten schleichen sich hier Diktier- und Formulierungsfehler ein, die dann regelmäßig allenfalls mit einem (vereinbarten) Widerruf korrigierbar sind.
Siehe auch Rdn 252 f., Rdn 314 ff., § 2 Rdn 976 f.
Rz. 286
Die Erledigungserklärung kann auch beiden Parteien bekannte Ansprüche umfassen, über deren Erlöschen vor und bei Vergleichsabschluss nicht ausdrücklich gesprochen wurde. Siehe auch Rdn 253.
Rz. 287
Vom eindeutigen Wortlaut einer Vereinbarung kann im Wege der Auslegung nur abgewichen werden, wenn die Parteien übereinstimmend etwas anderes vereinbaren wollten.