a) Enthaltungspflicht, Ausübungspflicht und gewandelte Überzeugung
Rz. 140
Eine weitere Hauptpflicht ist die Enthaltungspflicht, die beinhaltet, dass der Urheber alles zu unterlassen hat, was den Vertragszweck gefährdet. Er hat sich während der Dauer des Vertrags jeglicher Verwertungshandlungen zu enthalten, die geeignet sind, seinem Vertragspartner ernsthafte Konkurrenz zu machen.
Rz. 141
Auf der anderen Seite trifft den Nutzer die Ausübungspflicht. Dies findet seinen gesetzlichen Rückhalt in § 41 Abs. 1 UrhG, der besagt, dass im Falle der Nichtausübung eines ausschließlichen Nutzungsrechts oder bei nur unzureichender Rechtsausübung ein Rückrufsrecht besteht. Diese gesetzliche Regelung ist nicht dispositiv. Nach § 41 Abs. 4 UrhG kann auf das Rückrufsrecht nicht im Voraus verzichtet werden, seine Ausübung im Voraus ist auf fünf Jahre begrenzt.
Mit der Urheberrechtsreform 2021 – Art. 22 regelt erstmals ein Widerrufsrecht auf Unionsebene – wurde § 41 Abs. 1 UrhG dahingegen geändert, dass durch die Nichtausübung des Nutzungsrechts die berechtigten Interessen des Urhebers nicht mehr erheblich verletzt sein müssen, was ohnehin früher kaum eine eigenständige Bedeutung hatte. Die Ausübung des Rückrufrechts ist dann ausgeschlossen, wenn die unzureichende Ausübung überwiegend auf Umständen beruht, die in die Sphäre des Urhebers fallen, etwa bei mangelnder Aktualisierung eines Lehrbuchs.
Das in Art. 22 Abs. 3 S. 3 DSM-RL enthaltene Wahlrecht der Kreativen, ein ausschließliches Nutzungsrecht insgesamt oder nur dessen Exklusivität zu beenden, wird in § 41 Abs. 1 S. 1 UrhG umgesetzt.
Dieses Recht kann nach Ablauf von zwei Jahren seit der Rechtseinräumung oder der ihr nachfolgenden Ablieferung des Werkes zurückgerufen werden. Bei Zeitungsbeiträgen, Beiträgen zu einer Zeitschrift, die monatlich oder kürzer erscheint, und anderen Zeitschriften sind die Fristen kürzer, und zwar drei Monate, sechs Monate bzw. ein Jahr (§ 41 Abs. 2 UrhG).
Der Rückruf kann erst erklärt werden, nachdem der Urheber dem Inhaber des Nutzungsrechts unter Ankündigung des Rückrufs eine angemessene Nachfrist bestimmt hat (§ 41 Abs. 3 S. 1 UrhG). Der Bestimmung der Nachfrist bedarf es dann nicht, wenn die Ausübung des Nutzungsrechts seinem Inhaber unmöglich ist oder von ihm verweigert wird oder wenn durch die Gewährung einer Nachfrist überwiegende Interessen des Urhebers gefährdet würden (S. 2).
Diese gesetzliche Regelung ist nicht dispositiv. Nach § 41 Abs. 4 UrhG kann auf das Rückrufrecht zum Nachteil des Urhebers nur durch eine Vereinbarung verzichtet werden, die auf einer gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36 UrhG) oder einem Tarifvertrag beruht.
Mit Wirksamwerden des Rückrufs wandelt sich das ausschließliche Nutzungsrecht in ein einfaches Nutzungsrecht um oder erlischt insgesamt (§ 41 Abs. 5 UrhG).
Gegebenenfalls hat der Nutzungsberechtigte dann den Urheber zu entschädigen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht, was aufgrund einer umfassenden Abwägung der Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen ist (§ 41 Abs. 6 UrhG).
Rz. 142
Ein in diesem Kontext stehender weiterer Rückrufgrund ist die gewandelte Überzeugung des Urhebers, die besonderer Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts ist. Nach § 42 UrhG kann der Urheber dann ein Nutzungsrecht zurückrufen, wenn das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht und ihm deshalb die Verwertung des Werkes nicht länger zugemutet werden kann. Die Ausübung dieses Rückrufsrechts bringt es mit sich, dass der Urheber dem Nutzungsrechtsinhaber zur angemessenen Entschädigung verpflichtet ist (§ 42 Abs. 3 UrhG). Der Rückruf wird erst wirksam, wenn der Urheber die Aufwendungen ersetzt oder Sicherheiten für sie geleistet hat.
Rz. 143
Hinweis
Der Rückruf spielte in der Praxis bis zur Reform im Jahre 2017 keine große Rolle, da die gesetzlichen und tatsächlichen Hürden hoch sind. Lässt sich etwa ein Musikproduzent die ausschließlichen Rechte an Musikstücken bzw. Musikproduktionen einräumen und kommt er dann – wie der Urheber behauptet – seinen Ausübungspflichten nicht nach, so hat Letzterer zunächst ein Nachweisproblem. Der Musikproduzent wird in der Regel behaupten, dass er bei zahlreichen Tonträgerherstellern und Sendeanstalten vorstellig geworden sei, dies aber letztlich nicht zum Erfolg geführt hätte. Verlangt er dann sogar noch eine "Entschädigung" für die angeblichen Investitionen in die Produktion, so wird der Urheber do facto auf den Rückruf verzichten. Entsprechendes gilt für den Rücktritt aufgrund gewandelter Überzeugung, deren Rechtsausübung ebenfalls von Entschädigungszahlungen abhängt. Um diese Missstände zu beseitigen, wurde zum 1.3.2017 § 40a UrhG als Recht zur anderweitigen Verwertung nach zehn Jahren eingeführt.