a) Neues Vergütungsrecht – wirtschaftlicher Hintergrund
Rz. 156
Auf dem Gebiet des Urhebervertragsrechts besteht auch nach Geltung der Art. 18–23 DSM-RL kaum Änderungsbedarf, denn diese orientieren sich am deutschen Urhebervertragsrecht. Soweit das deutsche Recht einen höheren Schutzstandard als die DSM-RL bildet (etwa in § 32 Abs. 3 UrhG betreffend die Unabdingbarkeit der angemessenen Vergütung), kann das deutsche Urhebervertragsrecht erhalten bleiben, denn die DSM-RL bezweckt lediglich eine Mindestharmonisierung. Über den Verweis in § 79 Abs. 2a UrhG gelten die urhebervertraglichen Bestimmungen auf für ausübende Künstler.
Mit der Urheberrechtsreform 2021 werden nun neben den Vertragsanpassungsansprüchen auf angemessene und weitere Vergütung (§§ 32, 32a und 32b UrhG) auch die Transparenzpflicht (Auskunftsanspruch gem. §§ 32d und 32e UrhG zur Umsetzung des Art. 19 DSM-RL) geändert und die Regelungen zu alternativen Streitbeilegungsverfahren (§ 32f UrhG zur Umsetzung des Art. 21 DSM-RL) sowie Art. 35a UrhG (Umsetzung des Art. 13 DSM-RL), schließlich das Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Beiträge (§ 38 Abs. 4 UrhG) zu international zwingendem Recht erklärt (§ 32b UrhG).
Die Vergütungspflicht war das Herzstück der zum 1.7.2002 in Kraft getretenen Regelungen zum Urhebervertragsrecht. Der wirtschaftliche Hintergrund für diese Neuregelungen war die in der Praxis festzustellende Tendenz der "Medienindustrie", sich die Rechte der Urheber und ausübenden Künstler pauschal einräumen zu lassen. In diesem Kontext findet der Begriff des "Buy-Out"-Vertrages Verwendung, der darauf hinweist, dass sich der Urheber möglichst aller ihm zustehenden Nutzungsrechte begeben soll. Schon nach der vor dem 1.7.2002 bestehenden Gesetzeslage wurden die Probleme des Buy-Out im Zusammenhang mit einer möglichen Umgehung der Zweckübertragungsregel diskutiert (§ 31 Abs. 5 UrhG). Immerhin hat die Rechtsprechung schon korrigierend zugunsten des Urhebers eingegriffen und eine genaue Spezifizierung der zu übertragenden Rechte verlangt (siehe Rdn 113). Der Gesetzgeber sieht einen Verfassungsauftrag zur Gewährung einer angemessenen Vergütung. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu
Zitat
"…, dass vor allem freiberufliche Urheber und ausübende Künstler häufig bei dem Versuch scheiterten, gegenüber strukturell überlegenen "Verwertern" gerechte Verwertungsbedingungen durchzusetzen. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht der Vertragsparteien begründe die Gefahr begünstigender Verträge. Ziel der Neuregelungen sei es daher, diesen Missstand zu beseitigen, indem die vertragliche Stellung der Urheber und ausübenden Künstler gestärkt und die Vertragsparität hergestellt würde."
Rz. 157
Dieser Ausgangspunkt ist keineswegs unproblematisch. Zunächst sind die meisten Werkvermittler nicht der Medienindustrie zuzurechnen. Ein Vergleich zu Banken, bei denen in gewissen Bereichen im Verhältnis zu den Verbrauchern eine solche strukturelle Schieflage gesehen wird, kann für die Mehrzahl der Urheber und ausübenden Künstler nicht gezogen werden. Der ganz überwiegende Teil der Kreativen ist in wirtschaftlicher (Arbeitnehmerähnliche) oder persönlicher Abhängigkeit (Arbeitnehmer) tätig. Beide Arbeitnehmergruppen kommen in erheblichem Umfang in den Genuss von Tarifverträgen (§ 12a TVG), für die über § 32 Abs. 4 UrhG von einer angemessenen Vergütung ausgegangen wird. Immerhin ist zu bedenken, dass die relativ geringe Zahl der selbstständigen Kulturschaffenden noch dadurch benachteiligt werden kann, dass diese in Zukunft in Anbetracht der für die Auftraggeber nachteiligen Regelungen über die angemessene Vergütung weniger Aufträge erhalten (siehe § 2 Rdn 6 zur Rechtfertigung des Urheberschutzes und den dort zusätzlich angestellten Überlegungen zur "Bewertung" des Werkes bzw. der Leistungen ausübender Künstler als Maßstab für die Angemessenheit der Vergütung).
Rz. 158
Nach der bis zum 30.6.2002 geltenden Fassung galt Folgendes: Den Nutzer trifft üblicherweise auch eine Vergütungspflicht, die in der Regel in einer prozentualen Beteiligung am so genannten Verwertungserlös besteht. Für den Fall, dass die vereinbarte Vergütung und der von dem Nutzer erteilte Erlös in einem groben Missverhältnis zueinander stehen, kann gem. § 36 UrhG a.F. der Urheber Vertragsanpassung in dem Sinne verlangen, dass er ein Nachforderungsrecht hat. In der Praxis muss der Urheber die Hürde des groben Missverhältnisses überwinden, für deren Feststellung die gesamten Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien zu berücksichtigen sind. Nach der Rechtsprechung darf dieses Missverhältnis nicht vorhersehbar (unerwartet) gewesen sein. Eine feste Wertgrenze gibt es hierbei allerdings nicht (anders etwa in Frankreich: bei einer Verkürzung von mehr als 7/12, Art. 37 UrhG, Art. L. 133–5 CTI). Dieses Vertragsanpassungsrecht gibt es nicht für ausübende Künstler und für die so genannten Filmurheber (§ 90 S. 2 UrhG).