1. Grundlagen
Rz. 85
Hat sich ein Miteigentümer so schwerwiegender Pflichtverletzungen schuldig gemacht, dass den anderen Miteigentümern die Fortsetzung der Gemeinschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden kann, kann die Gemeinschaft von ihm die Veräußerung seines Wohnungseigentums verlangen (§ 17 Abs. 1 WEG). Das "Veräußerungsverlangen" führt im Ergebnis zu einer "Entziehung des Wohnungseigentums"; so lautet die amtliche Überschrift des § 17 WEG. Die Generalklausel des Abs. 1 wird in § 17 Abs. 2 WEG beispielhaft konkretisiert. Die Entziehungsvoraussetzungen liegen demnach insbesondere vor, wenn ein Wohnungseigentümer trotz Abmahnung wiederholt gröblich gegen die ihm nach § 14 Abs. 1 und 2 obliegenden Pflichten verstößt.
Rz. 86
Weil die Entziehung des Wohnungseigentums den schwersten Eingriff in die Rechtsstellung des Wohnungseigentümers darstellt, sind die Anforderungen an die Feststellung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Gemeinschaft entsprechend hoch. Das Entziehungsverfahren soll nur als "letztes Mittel" in Betracht kommen, wenn weniger schwere rechtliche Maßnahmen ausgeschöpft sind oder nicht in Frage kommen; dem Gesetz sind diese Beschränkungen freilich nicht zu entnehmen. Im Normalfall muss eine Gemeinschaft zunächst versuchen, Störungen mit gerichtlicher Hilfe abzustellen, bspw. durch Titulierung von Unterlassungsansprüchen. Die subjektive Vorwerfbarkeit i.S.v. § 276 BGB ist trotz des Wortlauts des § 17 Abs. 1 WEG ("schuldig gemacht") nicht erforderlich, weil es für die Frage der Zumutbarkeit der Fortsetzung der Gemeinschaft darauf nicht unmittelbar ankommt.
Rz. 87
Beispiele
Psychisch kranke Miteigentümer:
a) Messie-Syndrom: U.a. können Arbeiten am Gemeinschaftseigentum über Jahre nicht durchgeführt werden, Unrat wird auf dem Stellplatz gelagert.
b) Aus einer Wohnung dringen andauernde Fäkalgerüche.
Fortlaufend unpünktliche Erfüllung von Wohngeld- und anderen Zahlungsansprüchen. Es ist der Gemeinschaft nicht zumutbar, ihre Beitragsforderungen jahrelang immer wieder einklagen zu müssen.
Rz. 88
Stört einer von mehreren Eigentümern, kann das Wohnungseigentum allen entzogen werden. Bei einer vermieteten Wohnung kann dem Eigentümer das Wohnungseigentum entzogen werden, wenn er sich nicht darum kümmert, die von seinen Mietern ausgehenden Störungen abzustellen.
Rz. 89
Beispiel
Trotz Abmahnungen unternimmt der Vermieter nichts gegen gravierende Störungen des Hausfriedens durch seinen Mieter. Der Auszug des Mieters kann den einmal entstandenen Entziehungsanspruch nicht wieder beseitigen.
Rz. 90
Mancher Querulant bringt die Gemeinschaft in Schwierigkeiten, indem er die Verwaltung mit Eingaben und Anträgen überhäuft und serienmäßige Beschlussanfechtungsklagen führt; das rechtfertigt aber keine Entziehung des Wohnungseigentums. Die Entziehung kann aber gerechtfertigt sein, wenn der betreffende Miteigentümer auf andere Weise (bspw. durch permanente Aufforderung zum Rücktritt und die Ankündigung der Abwahl) die Zermürbung der Verwaltung und das Herbeiführen eines verwalterlosen Zustands bezweckt; das wird sich aber nur selten nachweisen lassen.
2. Abmahnung und Entziehungsbeschluss
Rz. 91
Der Anspruch auf Entziehung setzt "wiederholte gröbliche Verstöße trotz Abmahnung" voraus. Inhaltlich soll die Abmahnung dem Wohnungseigentümer "ein bestimmtes beanstandetes Fehlverhalten vor Augen zu führen, verbunden mit der Aufforderung, dieses Verhalten aufzugeben oder zu ändern" und ihn vor dem drohenden Entziehungsbeschluss warnen. Wenn ein gerichtliches Entziehungsverfahren aber bereits läuft, sind weitere Abmahnungen überflüssig; die Klage kann dann ohne weiteres auf die neuen Gründe gestützt werden. Das Gesetz regelt nicht, wer die Abmahnung aussprechen darf oder muss. Die Gemeinschaft ist dafür auf jeden Fall zuständig; sie kann die Abmahnung per Mehrheitsbeschluss aussprechen. Die Beschlussfassung ist – wie immer – anzukündigen. Der Beschluss selbst entspricht im Prin...