Rz. 205

Der Einsatz von Kameras zur Überwachung und Dokumentation von Verkehrsvorgängen hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Damit einher geht die für die Praxis wichtige Frage der Identifizierung des Betroffenen anhand eines Radar-/Messfotos. Dies ist für den Betroffenen i.d.R. dann wichtig, wenn er den Verkehrsverstoß – häufig eine Geschwindigkeitsüberschreitung – selbst gar nicht bemerkt hat und auf den Vorwurf dann erst nach einigen Wochen durch die Übersendung eines Anhörungsbogens, der das Foto enthält, hingewiesen wird. Für den Verteidiger erlangen die damit zusammenhängenden Fragen an zwei Stellen Bedeutung, und zwar einmal ggf. zu Anfang des Mandats, wenn sich die Frage stellt, ob das von dem Verkehrsverstoß gefertigte Lichtbild, das dem Mandanten mit dem Anhörungsbogen übersandt worden ist, zur Identifizierung des Mandanten ausreicht, und zum anderen dann, wenn der Verteidiger das den Mandanten verurteilende Urteil prüft, ob die für die Identifizierung eines Betroffenen anhand des von einem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes geltenden Anforderungen beachtet worden sind. Im ersten Fall geht es vornehmlich um die Frage der Qualität des Lichtbildes (s. dazu Rdn 216 ff. m.w.N. und § 2 Rdn 15 ff. sowie Bellmann, StRR 2011, 419 ff.; dies., StRR 2011, 463 ff.; dies., StRR 2012, 18 ff.; Huckenbeck/Gabriel, NZV 2012, 201; Huckenbeck/Krumm, NZV 2017, 453; Schott, NZV 2011, 169; ders., NZV 2022, 20), im zweiten Fall um die Beachtung der Grundsätze der obergerichtlichen Rechtsprechung (auch Rdn 207 ff.; zur taktischen Entscheidung des Verteidigers Staub, DAR 2016, 293 und DAR 2019, 231).

 

Hinweis

Soll zur Identität des Fahrers auf dem Lichtbild ein Beweisantrag gestellt werden, der dahin gehen soll, dass der Betroffene nicht der Fahrer ist, muss auf die Formulierung des Antrags besondere Sorgfalt verwendet werden. Denn ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag liegt nur vor, wenn eine bestimmte Beweistatsache angegeben wird. Das bedeutet, dass der Antrag konkreten Tatsachen nennen muss, z.B. morphologische Merkmale oder sonstige Umstände, die eine Identität des Betroffenen mit der auf den Radarfotos abgebildeten Person ausschließen. Falsch ist es, wenn der allein auf die Feststellung abhebt, "dass der Betroffene nicht der Fahrer des Fahrzeugs gewesen sein kann". Diese Negativtatsache benennt nur das Beweisziel. Diesen Schluss hat aber nicht der Sachverständige, sondern allein das AG auf der Grundlage der erhobenen Beweise zu ziehen (zu allem OLG Hamm, VRR 2010, 113 = StRR 2009, 105; zum "richtigen Beweisantrag" a. OLG Bamberg, StraFo 2017, 156 = VA 2017, 106; BGH, NJW 2017, 1691 [Ls.] = NStZ 2017, 300 = StRR 5/2017, 10); Junker, Rn 27 ff.; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 1054 ff.; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 502 ff.; Cierniak/Niehaus, DAR 2018, 181; zur Negativtatsache Meyer, DAR 2011, 744 ff., sowie auch hier Rdn 238; krit. Burhoff/Gübner, OWi, Rn 2651).

 

Rz. 206

In der Diskussion ist/war die Zulässigkeit zwangsweiser Lichtbildaufnahmen für Identitätsgutachten. Das ist – wenn überhaupt – allenfalls nach §§ 81b StPO, 46 OWiG möglich. In der Rechtsprechung ist die Zulässigkeit bejaht worden (OLG Stuttgart, NJW 2014, 3590 = VRR 2014, 396 = NZV 2015, 562; LG Zweibrücken, VRR 2012, 398 = StRR 2012, 395 = VA 2012, 173). Man geht davon aus, dass es bei Verkehrsordnungswidrigkeit mit drohendem Fahrverbot auch im Bußgeldverfahren zulässig ist, Lichtbildaufnahmen vom Betroffenen zu seiner Identifizierung als Fahrzeugführer anzufertigen. Zu deren Durchsetzung dürften auch Zwangsmaßnahmen gegen sich sträubende Betroffene angewandt werden (so vor allem LG Zweibrücken, a.a.O.). Dem ist entgegen zu halten, dass das zwangsweise Vorgehen nur ausnahmsweise bei einem massiven, besonders gefährlichen Verstoß zulässig sein dürfte, etwa bei einer Drogen- oder Trunkenheitsfahrt nach § 24a StVG oder bei einem gesteigerten Fall grober Pflichtverletzung wie z.B. bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung oder einem erheblichen Rotlichtverstoß mit nachfolgendem Unfall (Nr. 132.2.1 BKat), nicht aber bei den tagtäglichen "normalen" Fahrverbotsfällen, insbesondere nicht bei geringfügiger Überschreitung der Grenzwerte. Auch die Fälle der Beharrlichkeit (§§ 25 Abs. 1 StVG, 4 Abs. 2 BKatV) dürften in aller Regel nicht genügen (auch a. Deutscher, in der Anm. zu LG Zweibrücken, VRR bzw. StRR, jeweils a.a.O.; auch – vom LG Zweibrücken allerdings falsch zitiert – Göhler/Seitz/Bauer, § 46 Rn 32; KK-OWi/Lampe, § 46 Rn 27; Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2967). Das OLG Stuttgart (a.a.O.) sieht allerdings die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Betroffenen durch die Polizei außerhalb der Hauptverhandlung als unverhältnismäßig an, sofern ein (anderer) anthropologischer Sachverständiger in der Lage ist, ein Vergleichsbild des Betroffenen zur Erstellung seines Identitätsgutachtens im Rahmen des Hauptverhandlungstermins zu fertigen und sogleich auszuwerten.

 

Hinweis

Die Unverhältnismäßigkeit eines Eingriffs soll aber nicht zu einem BV...

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