Rz. 42

Der Verteidiger muss darauf achten, dass der Verurteilung des Betroffenen ggf. nicht nur eine Schätzung der gefahrenen Geschwindigkeit zugrunde liegt. Der Schätzung der Geschwindigkeit durch einen Zeugen kommt nur dann besonderes Gewicht zu, wenn sie von einem in der Verkehrsüberwachung erfahrenen Beamten durchgeführt wurde (zur Zulässigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch Schätzung durch einen Polizeibeamten auf einem nachfahrenden Polizeikrad AG Haßfurt, DAR 2013, 285 = VA 2013, 85 = VRR 2013, 275). Handelt es sich nicht um einen regelmäßig mit der Überwachung des fließenden Verkehrs befassten Gemeindevollzugsbeamten, so bedarf es im Urteil Feststellungen dazu, welche Schulungen der Zeuge absolviert hat und in welchem Umfang und in welchen Zeiträumen er mit Geschwindigkeitsmessungen beauftragt war. Das Urteil muss dann ferner eine nähere Beschreibung der Bezugstatsachen für die Schätzung enthalten, insbesondere der konkreten Örtlichkeit, an welcher der Verkehrsverstoß begangen wurde, des Blickwinkels, aus welchem der Schätzende das Fahrzeug wahrgenommen hat, der gefahrenen Wegstrecke und etwaigen Zeitdauer des Verstoßes und gegebenenfalls der Lichtverhältnisse. Solche detaillierten Feststellungen sind insbesondere dann veranlasst, wenn gegen den Betroffenen neben der Geldbuße auch ein Fahrverbot verhängt wurde (OLG Karlsruhe, NJW 2008, 3156 = NZV 2008, 586 = zfs 2008, 710 = NStZ-RR 2008, 321).

 

Rz. 43

Bei der Überprüfung der Beweiswürdigung muss der Verteidiger zudem später darauf achten, dass sich der Amtsrichter nicht einfach darauf zurückziehen kann, der Mess-/Polizeibeamte sei dem Gericht als "äußerst erfahren und gewissenhaft bekannt"; das lässt keinen Rückschluss auf die Zuverlässigkeit seiner Angaben und seines Vorgehens zu (OLG Stuttgart, VRR 2010, 354 = VA 2010, 175 = VRS 119, 235). Auch kann das nur in einem Messprotokoll enthaltene Messergebnis einer Geschwindigkeitsmessung, an das sich der Messbeamte nicht selbst erinnern kann, einer Verurteilung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn der Messbeamte die Gewähr für die Richtigkeit seiner laut Messprotokoll getroffenen Feststellungen übernimmt. Dies ist nicht möglich, wenn er selbst das Messprotokoll gar nicht gefertigt oder (mit) unterschrieben hat (AG Dortmund, VA 2017, 179 = DV 2018, 36; vgl. a. BGHSt 23, 213; 23, 265; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 3443). Gleiches gilt für durchgeführte Gerätetests (AG Dortmund, a.a.O.). Es stellt aber keinen sachlich-rechtlichen Fehler dar, wenn die Überzeugung des Tatrichters auf den Bekundungen eines für "neutral, zuverlässig und glaubwürdig" gehaltenen polizeilichen Zeugen beruht, im Urteil aber offen bleibt, ob sich der Zeuge an den Vorfall positiv erinnern konnte oder sein Zeugenbericht auf eigenen Notizen beruhte, die den Betroffenen aussagekräftig belasten (KG, Beschl. v. 4.5.2020 – 3 Ws (B) 83/20, VA 2020, 185).

 

Hinweis

Das Gericht darf sich dem Gutachten eines Sachverständigen nicht einfach nur pauschal anschließen. Will es seinem Ergebnis ohne Angabe eigener Erwägungen folgen, müssen die Urteilsgründe die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben. Der allgemeine Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung reicht dazu nicht aus (st.Rspr der OLG, vgl. u.a. OLG Bamberg, DAR 2017, 89 = VA 2017, 51; 2018, 93; OLG Jena, Beschl. v. 21.9.2020 – 1 OLG 151 SsBs 72/20 m.w.N.; OLG Karlsruhe, VA 2015, 138 = DAR 2015, 401; OLG Koblenz, VRR 2005, 394 = VA 2005, 214 = DAR 2006, 101; weitere Nachw. bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3843). Hat der Amtsrichter bei einem standardisierten Messverfahren ein SV-Gutachten eingeholt, so ist zudem die Mitteilung erforderlich, aus welchem Grund und zu welchem konkreten Beweisthema dies erfolgt ist. Denn nur so kann das OLG verlässlich beurteilen, ob der Tatrichter zunächst ggf. Anhaltspunkte für eine Fehlmessung hatte und ob diese durch die Beweisaufnahme in ausreichender Weise ausgeräumt werden konnten (OLG Bamberg DAR 2018, 93 m.w.N.).

Und: Messprotokolle/Eichscheine sind keine Abbildungen. Auf sie kann also im Urteil nicht nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen werden (BayObLG, Beschl. v. 31.1.2022 – 202 ObOWi 106/22, zfs 2022, 349 = VA 2022, 89; OLG Bamberg zfs 2015, 49; OLG Brandenburg, DAR 2005, 97 = StraFo 2005, 120; OLG Düsseldorf, VA 2016, 52, 2016, 65 = DAR 2016, 149 = zfs 2016, 52; DAR 2018, 387 = VA 2018, 107; OLG Hamm, VA 2012, 139 = VRR 2012, 243 [Ls.]; VA 2016, 84 = NZV 2016, 241; 2016, 595; Beschl. v. 27.2.2020 – 5 RBs 63/20, VA 2020, 107; Beschl. v. 9.3.2021 – III-4 RBs 44/21, zfs 2021, 531; OLG Koblenz, zfs 2014, 171; OLG Schleswig, VRR 2014, 270 = zfs 2014, 413 = NZV 2015, 45; s. aber auch KG, NStZ-RR 2016, 27 = VRS 129, 155 = NZV 2016, 293 = VA 2016, 84; OLG Stuttgart, NZV 2017, 341 = VA 2017, 6; weitere Nachw. bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3833). Es sind Urkunden, die grds. nach § 249 StPO in der Hauptverhandlung verlesen werden müssen (so auch OLG Düsseldorf, DAR 2013, 82 m. Anm. Staub; OLG Jena V...

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