Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
a) Allgemeine Ablehnungsgründe (§ 244 Abs. 3 und 4 StPO)
Rz. 249
Sofern das Gericht den Sachverhalt nach dem bis zur Antragstellung vorliegenden Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, kann ein Beweisantrag unter bestimmten Voraussetzungen abgelehnt werden. Dabei werden im OWi-Verfahren die Fälle des § 244 Abs. 3 und 4 StPO (auch Burhoff/Burhoff, HV, Rn 1015 ff. m.w.N.; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 2529 ff.) auf die fehlende Erforderlichkeit (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) und das verspätete Vorbringen (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) ausgedehnt (dazu Rdn 210 ff.). Bei der Ablehnung eines Beweisantrages ist das AG allerdings an diese Ablehnungsgründe gebunden, es hat kein darüber hinausgehendes Ermessen (OLG Hamm, VA 2007, 37). Der Umfang der Beweisaufnahme steht nicht in seinem Belieben (zur Aufklärungspflicht auch Rdn 229; zum Beweisumfang bei Benennung einer anderen Person als Fahrer durch den Betroffenen OLG Oldenburg, Beschl. v. 5.10.2021 – 2 Ss (OWi) 211/21, zfs 2022, 109).
b) Zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG)
Rz. 250
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann der Beweisantrag abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Das ist gegeben, wenn der Sachverhalt aufgrund verlässlicher Beweismittel so eindeutig geklärt ist, dass die beantragte Erhebung des Beweises an der Überzeugung des Gerichts nichts ändern würde (s.u.a. KG, VA 2017, 200 [Rotlichtverstoß]; VA 2019, 50 [Fahreridentifizierung]; OLG Brandenburg, VA 2012, 158 = VRR 2012, 396; OLG Celle, NJW 2010, 3794 = NZV 2010, 634 = VRR 2010, 474 = VA 2011, 13; OLG Düsseldorf, VRS 76, 377 = NZV 1989, 163; OLG Hamm, NZV 2008, 417 = VRS 114, 290; OLG Hamm, VRR 2010, 474 = VA 2010, 122; ; Beschl. v. 11.5.2021 – 5 RBs 94/21, zfs 2021, 529; OLG Jena, VRS 107, 379; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.9.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20, VRR 8/2021, 23; OLG Schleswig SchlHA 2010, 262 [Dö/Dr; Aufklärungspflicht bei der Täteridentifizierung]; Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 13 m.w.N. zu § 77 OWiG a.F.) bzw., wenn die Aussichtslosigkeit der Beweiserhebung zweifelsfrei feststeht (Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 13, m.w.N.). Oder: Unter Berücksichtigung des Gewichts des bisherigen Beweisergebnisses auf der einen und desjenigen des weiteren Beweismittels, dessen zusätzliche Verwendung beantragt ist, auf der anderen Seite muss nach dem Ergebnis der Gesamtbeweislage die Möglichkeit, die Überzeugung des Gerichts könne durch die beantragte Beweiserhebung noch erschüttert werden, vernünftigerweise als ausgeschlossen erscheinen (BayObLG, VRS 87, 367, 368; DAR 1997, 318; auch OLG Celle, OLG Hamm, jeweils a.a.O.).
Hinweis
Dass diese Voraussetzungen vorliegen, muss in dem die Ablehnung des Beweisantrages aussprechenden Beschluss oder im Urteil jedenfalls dann, wenn die Gründe nicht offen zutage liegen, im Einzelnen dargelegt werden (u.a. OLG Hamm, NZV 2007, 319). Erst dadurch wird das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt, die für die Ablehnung des Beweisantrags maßgebenden Erwägungen zu überprüfen (BayObLG, DAR 1997, 318).
Rz. 251
I.Ü. kommt es darauf an, ob der Beweisantrag ohne eine Verletzung der Aufklärungspflicht abgelehnt werden kann (anschaulich, u.a. für die Einholung eines Sachverständigengutachtens, KG, VA 2017, 200 [Rotlichtverstoß]; OLG Brandenburg, VA 2012, 158 = VRR 2012, 396; OLG Celle, NJW 2010, 3794 = NZV 2010, 634 = VRR 2010, 474 = VA 2011, 13; OLG Düsseldorf, VRS 76, 377 = NZV 1989, 163; OLG Hamm, NZV 2008, 417 = VRS 114, 290; VRR 2010, 474 = VA 2010, 122). Im Einzelnen gilt (auch Burhoff/Burhoff, HV, Rn 1528; Burhoff, VA 2007, 207; Meyer, DAR 2012, 44):
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Die Ablehnung eines Beweisantrages wird bei dem Antrag auf Vernehmung eines weiteren Zeugen zur Entkräftung der Aussage eines einzigen bisher vernommenen Zeugen i.d.R. nicht in Betracht kommen (KG, StraFo 2012, 22 [Entlastungsbeweis gegen die Aussage von zwei Polizeibeamten]; OLG Celle, Nds.Rpfl. 2001, 160; OLG Düsseldorf, zfs 2004, 185 m.w.N.; Beschl. v. 11.5.2021 – 5 RBs 94/21, zfs 2021, 529; OLG Jena, StraFo 2004, 357; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.9.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20, VRR 8/2021, 23; OLG Köln, VRS 100, 464; noch OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1999, 183; vgl. i.Ü. Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 14 ff. m.w.N.). In diesen Fällen wird es i.d.R. naheliegen, den Zeugen zu hören (OLG Düsseldorf, zfs 2004, 185). |
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Das gilt auch, wenn nur ein von einem Vorfall gefertigtes Lichtbild vorliegt und der Betroffene Zeugen dafür benennt, dass er als Fahrer ausscheide (KG, Beschl. v. 22.11.2018 – 3 Ws (B) 282/18, VA 2019, 50; OLG Oldenburg, VRS 88, 296; OLG Celle, NJW 2010, 3794 = NZV 2010, 634 = VRR 2010, 474 = VA 2011, 13; SchlHA 201, 262 [Dö/Dr]; vgl. a. KG, Beschl. v. 22.11.2018 – 3 Ws (B) 282/18 VA 2019, 50). Dann sind im Zweifel aber auch Ausführungen zur Ähnlichkeit zwischen den Personen erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 2001, 176 = VRS 100, 358 = zfs 2001, 183; OLG Hamm, DAR 2000, 417 = NZV 2001, 89). |
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Auch dann, wenn bereits zwei Zeugen/Polizeibeamte den Verstoß des Betroffenen bestätigen, deren Aussagen aber durch einen Gegenzeugen entkräftet werden so... |