Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 70
Handelt es sich um ein standardisiertes Verfahren, muss sich der Tatrichter nur dann von der Zuverlässigkeit der konkreten Messung überzeugen, wenn auch konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (so auch BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, NJW 2021, 455 = DAR 2021, 75 und [früher] schon – unter Hinweis auf u.a. BGHSt 43, 277 – KG, Beschl. v. 5.4.2020 – 3 Ws (B) 64/20, VA 2020, 10; OLG Bremen, Beschl. v. 15.4.2020 – 1 SsRs 16/20; OLG Hamm, NStZ 1990, 546; DAR 2000, 129; VRR 2008, 352 = VRS 115, 53 = NZV 2009, 248; s. noch BayObLG, DAR 1996, 411; OLG Saarbrücken, NStZ 1996, 207, und aus neuerer Zeit KG, Beschl. v. 6.9.2017 – 3 Ws (B) 248/17; OLG Bamberg, DAR 2016, 337 = VA 2016, 104 [für ESO ES 3.0]; OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2013, 223 = StRR 2013, 230 = VRR 2013, 231; zfs 2018, 234 = VA 2018, 13; OLG Hamm, VRR 2013, 194 m. abl. Anm. Burhoff = NStZ-RR 2013, 213 [Ls.]; OLG Oldenburg, VRR 6/2016, 16; OLG Zweibrücken, zfs 2012, 51 = DAR 2013, 38 = VRR 2013, 36 = VA 2013, 10 = StRR 2013, 37; Beschl. v. 15.4.2013 – 1 SsBs 14/12; weit. Nachw. bei Burhoff/Burhoff, OWi Rn 2331). An dieser Stelle ist der Verteidiger gefordert. Denn – wenn in der Tatsacheninstanz keine Messfehler geltend gemacht bzw. behauptet werden – dann besteht für den Amtsrichter insoweit auch keine sich aus § 244 Abs. 2 StPO ergebende Aufklärungspflicht und dann kann i.d.R. später auch nicht in der Rechtsbeschwerdeinstanz mit der Aufklärungsrüge in diesem Bereich ein Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht geltend gemacht werden (vgl. zur tatrichterlichen Aufklärungspflicht a. OLG Hamm, VRR 2010, 474 = VA 2010, 122).
Hinweis
Deshalb muss schon beim AG zu Besonderheiten, also Fehlern, der Messung vorgetragen werden (zu Messfehlern und zur Bedienung der einzelnen Messgeräte s. in § 1 die Ausführungen zu den jeweiligen Messgeräten; auch noch Cierniak, zfs 2012, 664, 668; Geißler, DAR 2014, 717 ff.; zu den Auswirkungen der Neuregelung des gesetzlichen Messwesens Rothfuß, DAR 2016, 257; Krenberger, DAR 2016, 415). Das gilt insb. auch dann, wenn Besonderheiten geltend gemacht werden sollen, die einen höheren als den üblichen Toleranzabzug erforderlich machen (sollen) (OLG Hamm, NZV 2000, 264; zum Beweisantrag im OWi-Verfahren Rdn 230 ff.).
Rz. 71
Im Beweisantrag muss auf jeden Fall eine konkrete Beweisbehauptung aufgestellt werden, die sich auf die konkrete Messung bezieht (OLG Brandenburg, VA 2012, 158 = VRR 2012, 396; OLG Celle, NZV 2009, 575 = VA 2009, 195 = VRR 2009, 393; OLG Frankfurt am Main, zfs 2018, 234 = VA 2018, 13; OLG Hamm, NZV 2007, 155 = zfs 2007, 111 = VRR 2007, 195; VA 2010, 122; dazu a. Rdn 239 ff.). Eine nur allgemeine Behauptung reicht für die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht aus (vgl. u.a. BayObLG, zfs 1997, 115; OLG Hamm, NZV 1999, 425; DAR 2007, 117 = zfs 2006, 654 = VRR 2007, 30; OLG Zweibrücken, NZV 2001, 48). Eine weitere Beweisaufnahme drängt sich hingegen auf bzw. liegt (nur) nahe, wenn konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes behauptet werden (OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, a.a.O.; OLG Hamm, NZV 2007, 155 = zfs 2007, 111 = VRR 2007, 195; VRR 2010, 474 = VA 2010, 122; OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.1.2016 – 2 Ss (OWi) 34/16). Ein allein mit pauschaler Kritik an dem eingesetzten standardisierten Messverfahren begründeter Beweisantrag genügt nicht (OLG Frankfurt am Main, a.a.O.). Auch ist die Frage, ob es zu einem Verstoß gegen die Bedienungsanleitung gekommen ist, keine der Beweiserhebung zugängliche (Beweis)Tatsache, sondern eine Wertung, die sich aus äußeren Begebenheiten ergibt (KG, Beschl. v. 17.7.2018 – 3 Ws (B) 169/18).
Rz. 72
An dieser Stelle befindet sich der Verteidiger/Betroffene häufig in einem "Teufelskreis". Er muss/soll konkret einen Messfehler darlegen, um z.B. ein SV-Gutachten durchsetzen zu können. Dafür muss er die Bedienungsanleitung einsehen und falls ihm das nicht möglich war, im Rahmen der Verfahrensrüge eingehende Bemühungen hierzu darlegen (OLG Celle, NZV 2013, 307 = VRR 2013, 192; OLG Hamm, Beschl. v. 6.3.2018 – 3 RBs 247/17). Kann im Einzelfall die Einschaltung eines Sachverständigen erreicht werden, so vermag der aber mangels Zugang zu sämtlichen Geräteinformationen die genaue Funktionsweise des Geräts anhand hierfür relevanter Daten der Messwertermittlung nicht im Einzelnen vollständig nachzuvollziehen ("Black Box"), was aber nach Auffassung der Obergerichte (vgl. Rdn 56 ff.) an der Bewertung als "standardisiertes Messverfahren" und der Verpflichtung, einem Beweisantrag nachgehen zu müssen, nichts ändern soll (anschaulich OLG Bamberg, DAR 2016, 337 = VA 2016, 104 für ESO ES 3.0; OLG Düsseldorf, VRR 6/2015, 16; OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2013, 223 = StRR 2013, 230 = VRR 2013, 231; OLG Oldenburg, VRR 6/2016, 16 = DAR 2016, 404 = NStZ-RR 2018, 253). Dieser "Schutzwall an Restriktion" (Deutscher, in der Anm. zu OLG Düsseldorf, a.a.O.) führt dazu, dass die Verfahren in solchen Fällen hä...