Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
a) Beschwerde
Rz. 196
Hinsichtlich der Rechtsmittel gegen eine nicht oder nicht vollständig gewährte Einsichtnahme ist zu unterscheiden (auch Rdn 177):
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Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde trifft diese die Entscheidung über die Akteneinsicht. Wird Akteneinsicht versagt, kann dagegen nach h.M. die gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG beantragt werden (Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, § 60 Rn 54a; Cierniak, zfs 2012, 664, 672). Einige Gerichte sind a.A. gewesen (vgl. u.a. AG Gütersloh, VRR 2011, 75 = VA 2010, 190; AG Paderborn, Beschl. v. 15.12.2010 – 25 OWi 341/10 [b]) und haben einen Antrag wegen § 62 Abs. 1 Satz 2 OWiG als unzulässig angesehen. Es handele sich dabei nämlich um eine Maßnahme, die zur Vorbereitung der Entscheidung getroffen werde und keine selbstständige Bedeutung habe. Das ist nicht zutreffend (auch Burhoff, VRR 2011, 75 in der Anm. zu AG Gütersloh, a.a.O.). Gegen die amtsgerichtliche Entscheidung steht dem Verteidiger/Betroffenen dann aber ein weiteres Rechtsmittel nicht zu (zur Abrechnung solcher Anträge wird verwiesen auf Burhoff, VRR 2013, 213; ders., RVGprofessionell 2013, 88). |
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Im gerichtlichen Verfahren dürfte die amtsrichterliche Entscheidung mit der Beschwerde nach § 304 StPO angefochten werden können. § 305 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (so ausdrücklich LG Trier, DAR 2017, 721; LG Ellwangen, VRR 2011, 117 = StRR 2011, 116 = DAR 2011, 418; LG Aachen, VA 2012, 68; LG Stuttgart, Verfügung v. 20.9.2011 – 19 Qs 101/11; s. aber LG Lüneburg, VRR 2011, 436; Beschl. v. 11.4.2013 – 26 Qs 84/13; auch noch OLG Brandenburg, NJW 1996, 67 m.w.N.; OLG Frankfurt, NStZ 1996, 238; offen bei Cierniak, zfs 2012, 664, 672; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 6, und Rdn 177 m.w.N. zur a.A.; zu den Rechtsmitteln bei Akteneinsicht Burhoff/Burhoff, EV, Rn 464 ff.). |
Hinweis
Nach einem erfolglosen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gegen die ablehnende Entscheidung der Verwaltungsbehörde kann der Verteidiger seinen Akteneinsichtsantrag im gerichtlichen Verfahren wiederholen. Das hat den Vorteil, dass ihm dann gegen eine ggf. erneut ablehnende Entscheidung des AG das Rechtsmittel der Beschwerde (§ 304 StPO) zusteht.
Nach Auffassung des LG Dessau-Roßlau (vgl. VRR 2012, 437) soll die noch nicht entschiedene Beschwerde nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils überholt und damit unzulässig sein.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist bedingungsfeindlich. Es reicht daher nicht aus, bereits im Akteneinsichtsgesuch den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen, "sofern dem Einsichtsgesuch nicht (vollständig) entsprochen wird" o.ä. (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.7.2022 – VGH B 30/21, StRR 2022, 35).
b) Rechtsbeschwerde
aa) Verfahrensrüge, § 79 OWiG
Rz. 197
Die Frage der nicht bzw. nicht ausreichend gewährten Akteneinsicht kann jedenfalls dann zum Gegenstand der Rechtsbeschwerde gemacht werden, wenn eine Geldbuße von mehr als 250 EUR oder ein Fahrverbot verhängt worden ist (§ 79 OWiG). Allerdings muss dies im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung vorbereitet werden. Dazu muss der Verteidiger wie folgt vorgehen (s. dazu auch die Fallgestaltung bei KG, VRR 2013, 76 = StRR 2013, 77 = VA 2013, 51 = DAR 2013, 213 = zfs 2013, 410; OLG Naumburg, VRR 2013, 37 = StRR 2012, 36 = DAR 2013, 37; OLG Saarbrücken, VRR 4/2016, 18 = StRR 472016, 22 = VA 2016, 103; Burhoff, VRR 2011, 250; Cierniak, zfs 2012, 664, 676 f.; Cierniak/Niehaus, DAR 2018, 541, 543). Im Ermittlungsverfahren muss rechtzeitig Einsicht in die Messunterlagen beantragt werden (vgl. KG, Beschl. v. 19.4.2022 – 3 Ws (B) 78/22). Gegen die (ggf. teilweise) Versagung der Einsichtnahme müssen die statthaften Rechtsbehelfe eingelegt werden (s.o.). Der Verteidiger muss sodann zu Beginn der Hauptverhandlung einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen nicht (ausreichend) gewährter Akteneinsicht stellen (§ 265 Abs. 4 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG). Wird dieser Antrag vom AG abgelehnt, muss diese Maßnahme im Hinblick auf § 338 Nr. 8 StPO nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden, um den nach § 338 Nr. 8 StPO erforderlichen "Beschluss des Gerichts" zu erlangen. Dies gilt auch beim Einzelrichter am Amtsgericht, obwohl Vorsitzender und Gericht hier identisch sind (Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 7). In der Rechtsbeschwerde ist dann die Verweigerung/Beschränkung der Akteneinsicht mit der Verfahrensrüge einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO geltend zu machen.
Hinweis
Wird dem Verteidiger also die Offenlegung von Messunterlagen verweigert, so ist die zielführende Reaktion darauf nicht die Stellung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens in der HV, der vom Gericht (zu Recht) als "ins Blaue hinein" gestellter Antrag nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen werden wird, und die anschließende Rüge einer Übergehung des Beweisantrags in der Rechtsbeschwerdeinstanz. Die Rechtsbeschwerde wird bei einem solchen Vorgehen (ebenfalls zu Recht) zurückgewiesen werden, weil das AG den Antrag zu Recht nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewie...