Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 222
In dem Zusammenhang "Täteridentifizierung" ist der Hinweis auf eine Diskussion erforderlich, die in der Vergangenheit verstärkt geführt worden und die noch nicht (vollständig) erledigt ist. Es geht um die Frage, ob ein aus dem Pass- oder Personalausweisregister stammendes Lichtbild des Betroffenen zu einem Vergleich mit dem von einem Verkehrsverstoß vorliegenden Messfoto zum Zweck der Identifizierung des Betroffenen verwendet werden darf, wenn das Lichtbild unter Missachtung der Rechtsvorschriften des Pass- und Personalausweisgesetzes erlangt wurde. Dazu hat es in der Vergangenheit obergerichtliche Rechtsprechung gegeben, die einhellig der Meinung war, dass zwar eine Beweiserhebungsverbot besteht, der Verstoß dagegen aber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt (BayObLG, NJW 1998, 3656; OLG Frankfurt am Main, NJW 1997, 2963; OLG Hamm, Beschl. v. 3.4.1997 – 3 Ss OWi 248/97).
a) Ansicht des AG Stuttgart
Rz. 223
A.A. ist vor einiger Zeit das AG Stuttgart gewesen (AG Stuttgart, zfs 2002, 355). Dieses hat ausgeführt, dass der entsprechende Nachweis durch einen Vergleich mit dem aus dem Passregister stammenden Lichtbild aus rechtlichen Gründen nicht geführt werden darf. Das Lichtbild sei nämlich i.d.R. entgegen den zwingenden, dem Schutz von Bürgerdaten dienenden Rechtsvorschriften erlangt, da meist das nach Maßgabe des § 22 Abs. 2 und 3 PaßG erforderliche formelle "Ersuchen" der Bußgeldbehörde nicht vorliege, sondern das Bild im Rahmen eines automatisierten Abrufverfahrens, bei dem die nachfragende Behörde oder Stelle ohne vorherige Anforderung und Anmeldung direkten Zugriff auch auf nur bestimmte Informationen aus dem Bestand der Passbehörde hat, erlangt werde. Dieses Beweiserhebungsverbot führt nach Auffassung des AG Stuttgart dann zu einem Beweisverwertungsverbot (dazu auch Nobis, DAR 2002, 299; Steffens, StraFo 2002, 222).
b) Rechtsprechung der OLG
Rz. 224
Die dazu vorliegende neuere Rechtsprechung der OLG, wie z.B.
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OLG Bamberg (DAR 2006, 336), |
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OLG Brandenburg (VA 2004, 56), |
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OLG Hamm (VRR 2009, 357 = VA 2009, 213 = zfs 2010, 111 für Anforderung der Kopie eines ausländischen Passes von der Ausländerbehörde), |
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OLG Rostock (VA 2005, 51) und OLG Stuttgart (OLG Stuttgart, zfs 2002, 550 = NZV 2002, 574 = VRS 104, 52), haben ein Beweiserhebungs- bzw. ein Beweisverwertungsverbot abgelehnt (OLG Frankfurt am Main, NJW 1997, 2963; OLG Hamm, Beschl. v. 3.4.1997 – 3 Ss OWi 248/97). |
Rz. 225
Danach wird die Übermittlung der Lichtbild-Kopie des Betroffenen vom Einwohnermeldeamt an die Verwaltungsbehörde von § 2b Abs. 2 PersonalAuswG gedeckt: Nach § 161 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ist eine Datenweitergabe durch die Personalausweisbehörden zwar nur zulässig, wenn die Daten beim Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erhoben werden können (§ 2b Abs. 2 Nr. 3 PersonalAuswG). Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der OLG aber vor, da das Aufsuchen des Betroffenen zum Abgleich des Radarfotos mit dem Betroffenen außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg stünde und den Betroffenen im Grunde mehr belasten würde. Auch sei ein Beweisverwertungsverbot zu verneinen, da zu berücksichtigen sei, dass durch die Passbild-Übermittlung der Kernbereich der Privatsphäre des Betroffenen nicht berührt wird und die Identifizierung des Betroffenen jederzeit auf andere Weise verfahrensfehlerfrei hätte erfolgen können.
Hinweis
Der Verteidiger sollte sich mit dieser Art der Identifizierung nicht zufrieden geben und sie als unzulässig beanstanden. Dazu muss er im Hinblick auf die sog. Widerspruchslösung des BGH (BGHSt 38, 214; zur Widerspruchslösung eingehend Burhoff/Burhoff, HV, Rn 4012 ff.) in der Hauptverhandlung der Verwendung des beigezogenen Ausweisfotos ausdrücklich widersprechen (OLG Hamm, NZV 2006, 162 = DAR 2005, 462 = VRS 108, 435 = zfs 2005, 413). Anderenfalls kann der Verstoß gegen das Beweisverwertungsverbot in der Rechtsbeschwerde nicht gerügt werden.