Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 135
Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass für einen qualifizierten Rotlichtverstoß die bei Rdn 131 gemachten Einschränkungen hinsichtlich des Umfangs der tatsächlichen Feststellungen nicht gelten. Dem OLG ist nämlich bei so geringen Feststellungen nicht die Möglichkeit eröffnet zu prüfen, ob wegen der besonderen Verkehrssituation nicht lediglich ein "einfacher" Rotlichtverstoß vorliegt, bei dem ein Fahrverbot nicht verhängt werden kann (Beschl. v. 13.7.2020 – IV-4 RBs 46/20, VA 2020, 199; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 25.2.2020 – 1 Ss-OWi 1508/19, zfs 2020, 410 = VA 2020, 87; OLG Hamm, NJW 2004, 172 = NStZ-RR 2004, 92 = DAR 2004, 102; zu den Feststellungen s. zuletzt auch noch OLG Hamm, NZV 2008, 309 = zfs 2008, 410 = VA 2008, 100). Um dem OLG also die Möglichkeit der Überprüfung des amtsgerichtlichen Urteils zu eröffnen, müssen daher nähere Feststellungen zu den örtlichen Verhältnissen und zum Ablauf des Rotlichtverstoßes getroffen werden (KG, DAR 2005, 634; 111, 218; OLG Düsseldorf, DAR 2003, 85; OLG Hamm, a.a.O.; DAR 2008, 35 = zfs 2008, 111 ; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.2.2022 – 1 Rb 34 Ss 9/22, VA 2022, 87 u. 124; OLG Saarbrücken, zfs 2016, 352), z.B. auch dazu, wie weit der Betroffene mit seinem Fahrzeug bei Rotbeginn von der Haltelinie entfernt war (KG, a.a.O.).
Hinweis
Werden im tatrichterlichen Urteil in der Akte vorhandene Lichtbilder, z.B. einer Ampelkreuzung, verwertet, kann auf diese nur dann zurückgegriffen werden, wenn diese durch eine ausdrückliche und den Anforderungen des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG entsprechende Verweisung/Bezugnahme zum Bestandteil des angefochtenen Bußgeldurteils gemacht worden sind (KG, VRS 113, 300; NStZ-RR 2016, 27 = VRS 129, 155 = NZV 2016, 293 = VA 2016, 84; NStZ-RR 2016, 27 = VRS 129, 155 = NZV 2016, 293 = VA 2016, 84; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 25.2.2020 – 1 Ss-OWi 1508/19, zfs 2020, 410). Es gelten die Grundsätze von BGHSt 41, 376 und der dazu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (dazu § 3 Rdn 205 ff.). Insofern genügt also nicht die bloße Mitteilung des Tatrichters, die Lichtbilder seien in Augenschein genommen worden (KG, a.a.O.; zur Zulässigkeit der Verwendung von Dashcam-Aufzeichnungen s. OLG Stuttgart, NJW 2016, 2280 = NZV 2016, 588 m. abl. Anm. Niehaus, NZV 2016, 551 = VRR 6/2016, 8; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 622 ff.).
Rz. 136
Zusätzlich bedarf es auch bei Anwendung standardisierter Messverfahren neben der genauen Bezeichnung des verwendeten Gerätetyps (OLG Braunschweig NJW 2007, 391 = VA 2006, 196 = VRR 2006, 471; OLG Hamm, VRR 2007, 316) zumindest der Angabe etwaiger berücksichtigter Messtoleranzen, um dem OLG die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen sind (vgl. BGHSt 39, 291 = 300 = NJW 1993, 3081; grds. auch OLG Bremen, NZV 2010, 42 [für Traffipax Traffiphot III]; OLG Frankfurt am Main, NZV 2008, 588 = VRS 2008, 363 = VA 2008, 313; OLG Karlsruhe, VA 2009, 65 = DAR 2009, 157 = NZV 2009, 201); es muss aber nicht ausdrücklich mitgeteilt werden, ob das angewandte Verfahren als standardisiert anzusehen ist (KG, NStZ-RR 2016, 27 = VRS 129, 155 = NZV 2016, 293 = VA 2016, 84). Insb. im Bereich der Rotlichtüberwachung mit stationären Messanlagen stehen nämlich zahlreiche Geräte verschiedener Hersteller zur Verfügung, bei denen es teilweise eines zeitlichen Abzugs für die nach dem Überfahren der Haltelinie bis zur Kontaktschleife zurückgelegte Strecke nicht mehr bedarf, teilweise – u.a. bei Geräten des Typs "Traffipax TraffiPhot II" – allerdings weitere Abschläge von bis zu 0,2 sec. für gerätespezifische Messungenauigkeiten vorzunehmen sind (OLG Braunschweig, a.a.O.; ähnlich OLG Karlsruhe, VA 2009, 65 = DAR 2009, 157 = NZV 2009, 201; zu Traffipax Traffiphot III OLG Bremen, NZV 2010, 42; zu den unterschiedlichen Messverfahren § 1 Rdn 1576 ff.; Burhoff/Böttger/Groß, OWi, Rn 3576 ff.).
Hinweis
Die Feststellungen zum exakten Ablauf des Rotlichtverstoßes sowie zu dessen Messung sind auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Betroffene eine "geständige Einlassung" abgegeben hat. Das bloße Geständnis des Betroffenen, z.B. bei Rot über die Lichtzeichenanlage gefahren zu sein, da er das rote Licht zu spät gesehen habe, erlaubt nämlich keine Feststellung zur Zeit, die seit Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Rot vergangen ist (OLG Hamm, 3.8.1999 – 4 Ss OWi 790/99; zu den Feststellungen beim Geständnis einer Geschwindigkeitsüberschreitung s. Rdn 66 ff.).
Rz. 137
Bei der – automatischen – Rotlichtüberwachung bedarf es darüber hinaus der Mitteilung im amtsrichterlichen Urteil, wie weit die Induktionsschleife von der Haltelinie entfernt ist, ggf. – soweit vorhanden – sogar die Mitteilung der Entfernung einer zweiten Induktionsschleife von der ersten und der jeweils auf den zwei Messfotos eingeblendeten Messzeiten. Diese Angaben sind nicht aufgrund des standardisierten Messverfahrens überflüssig, sondern dienen gerade der Berechnung der tatsächlichen Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie (OL...