Rz. 44

Vornehmlich in Zusammenhang mit Geschwindigkeitsüberschreitungen und -messungen mit Laser- und Radarmessungen spielt in der Rechtsprechung der Begriff des standardisierten Messverfahrens eine erhebliche Rolle. Früher waren die von der obergerichtlichen Rechtsprechung für diesen Bereich aufgestellten Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen verhältnismäßig streng. Im Grunde genommen musste das verwandte Messverfahren im Einzelnen dargestellt und beschrieben werden. Davon ist die obergerichtliche Rechtsprechung dann vor schon in den 90-iger Jahren abgerückt (zur Entwicklung der Rspr. Cierniak, zfs 2012, 664 ff.; zum Begriff noch einmal Rothfuß, DAR 2016, 257; Krenberger, DAR 2016, 415; BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, NJW 2021, 455 = DAR 2021, 75 m. Anm. Kroll und Anm. Niehaus, DAR 2021, 377 und VRR 1/2021, 4; VerfG Saarland, NZV 2019, 414 m. krit. Anm. Krenberger = VRR 8/2019, 11 m. zust. Anm. Deutscher; zu allem a. Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2302 ff. m.w.N. aus der Rspr. und zu aktuellen Entscheidungen zu den Grundlagen des standardisierten Messverfahrens Deutscher, VRR 11/2020, 4).

 

Rz. 45

In den Entscheidungen des BGH vom 19.8.1993 (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081) und vom 30.10.1997 (BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321) sind die Anforderungen an die Mindestfeststellungen, die der Tatrichter treffen und in den Entscheidungsgründen darlegen muss, erheblich gemildert worden (Cierniak, zfs 2012, 664 ff.). Der BGH ist der Auffassung, dass an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083), weil es sich bei diesen um Massenverfahren handelt (s.a. Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2303).

 

Rz. 46

Um standardisierte Messverfahren handelt es sich nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081; 43, 277 = NJW 1998, 321) bei Messverfahren, die menschliche Handhabungsfehler, wie z.B. Zielungenauigkeiten, erkennen und bei denen etwaigen systemimmanenten Ungenauigkeiten durch den vorgeschriebenen Tole­ranzabzug ausreichend Rechnung getragen wird. Nicht erforderlich ist, dass die Messung in einem vollautomatisierten, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließenden Verfahren getätigt wird; vielmehr reicht ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH, a.a.O.; s. auch BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, NJW 2021, 455 = DAR 2021, 75 m. Anm. Kroll und Anm. Niehaus, DAR 2021, 377 und VRR 1/2021, 4; VerfG Saarland, NZV 2019, 414 m. krit. Anm. Krenberger = VRR 8/2019, 11 m. zust. Anm. Deutscher; st.Rspr. der OLG, vgl. u.a. KG, DAR 2010, 331 = VRR 2010, 151 = VA 2010, 82 [für PoliscanSpeed]; Beschl. v. 23.7.2018 – 3 Ws (B) 157/18, NStZ 2018, 722 = VA 2018, 210; OLG Bamberg, VRR 2/2016, 12 = DAR 2016, 146 [für Riegl FG21-P]; DAR 2016, 337 = VA 2016, 104 [für ESO ES 3.0]; OLG Düsseldorf 2017, 104 für TraffiStar S 350; OLG Hamburg, Beschl. v. 20.2.2019 – 2 RB 10/18, NZV 2019, 255; Cierniak, zfs 2012, 664 ff.; zu den standardisierten Messverfahren § 1 Rdn 8 ff.; zu den Auswirkungen der Neuregelung des gesetzlichen Messwesens in Form des MessEG [dazu § 1 Rdn 112 ff.] Rothfuß, DAR 2016, 257 ff.; enger Krenberger, DAR 2016, 415; s.a. noch Märtens/Wynands, NZV 2019, 338 ff. zur Nachprüfbarkeit eines geeichten Messwertes).

 

Rz. 47

Von einem standardisierten Messverfahren kann nach der obergerichtlichen Rechtsprechung aber nur dann gesprochen werden, wenn das Gerät vom Bedienungspersonal auch wirklich standardmäßig, d.h. in geeichtem Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungsanleitung/Gebrauchsanweisung verwendet wird, und zwar nicht nur beim eigentlichen Messvorgang, sondern z.B. auch in den ihm vorausgehenden Gerätetests (u.a. KG, VRS 116, 446; NZV 2018, 585 m. Anm. Krenberger; OLG Bamberg, zfs 2018, 231 = NStZ-RR 2018, 122 = VA 2018, 48; OLG Brandenburg, VRR 2012, 396 = VA 2012, 158; Beschl. v. 31.5.2016 – (2 B) 53 Ss-OWi 217/16 (119/16); OLG Celle, NZV 2010, 414; OLG Düsseldorf, VA 2012, 10 = VRR 2012, 193; OLG Hamm, VRR 2008, 352 = VRS 115, 53 = NZV 2009, 248; OLG Koblenz, VRR 2005, 394 = VA 2005, 214 = DAR 2006, 101; OLG Naumburg zfs 2016, 231 = DAR 2016, 403; vgl. zu ggf. benutzerabhängigen Fehlerquellen z.B. § 1 Rdn 753 ff. und die Zusammenstellung bei Cierniak, zfs 2012, 662, 668; s.a. noch Rothfuß, DAR 2016, 257; Krenberger, DAR 2016, 415; Märtens/Wynands, NZV 2019, 338 ff. zur Nachprüfbarkeit eines geeichten Messwertes; weitere Rspr.-Nachw. bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2312). Eine von der Bedienungsanleitung relevante Abweichung liegt bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem sog. Einseitensensor vom Typ ES3.0 z.B. vor, wenn die gerätespezifische Fotodokumentation der Messung allein durch eine funkgesteuerte, jedoch ungeeichte Zusatzfotoeinrichtung und nicht auch durch die nach ...

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