Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 197
Die Frage der nicht bzw. nicht ausreichend gewährten Akteneinsicht kann jedenfalls dann zum Gegenstand der Rechtsbeschwerde gemacht werden, wenn eine Geldbuße von mehr als 250 EUR oder ein Fahrverbot verhängt worden ist (§ 79 OWiG). Allerdings muss dies im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung vorbereitet werden. Dazu muss der Verteidiger wie folgt vorgehen (s. dazu auch die Fallgestaltung bei KG, VRR 2013, 76 = StRR 2013, 77 = VA 2013, 51 = DAR 2013, 213 = zfs 2013, 410; OLG Naumburg, VRR 2013, 37 = StRR 2012, 36 = DAR 2013, 37; OLG Saarbrücken, VRR 4/2016, 18 = StRR 472016, 22 = VA 2016, 103; Burhoff, VRR 2011, 250; Cierniak, zfs 2012, 664, 676 f.; Cierniak/Niehaus, DAR 2018, 541, 543). Im Ermittlungsverfahren muss rechtzeitig Einsicht in die Messunterlagen beantragt werden (vgl. KG, Beschl. v. 19.4.2022 – 3 Ws (B) 78/22). Gegen die (ggf. teilweise) Versagung der Einsichtnahme müssen die statthaften Rechtsbehelfe eingelegt werden (s.o.). Der Verteidiger muss sodann zu Beginn der Hauptverhandlung einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen nicht (ausreichend) gewährter Akteneinsicht stellen (§ 265 Abs. 4 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG). Wird dieser Antrag vom AG abgelehnt, muss diese Maßnahme im Hinblick auf § 338 Nr. 8 StPO nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden, um den nach § 338 Nr. 8 StPO erforderlichen "Beschluss des Gerichts" zu erlangen. Dies gilt auch beim Einzelrichter am Amtsgericht, obwohl Vorsitzender und Gericht hier identisch sind (Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2, 7). In der Rechtsbeschwerde ist dann die Verweigerung/Beschränkung der Akteneinsicht mit der Verfahrensrüge einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO geltend zu machen.
Hinweis
Wird dem Verteidiger also die Offenlegung von Messunterlagen verweigert, so ist die zielführende Reaktion darauf nicht die Stellung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens in der HV, der vom Gericht (zu Recht) als "ins Blaue hinein" gestellter Antrag nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen werden wird, und die anschließende Rüge einer Übergehung des Beweisantrags in der Rechtsbeschwerdeinstanz. Die Rechtsbeschwerde wird bei einem solchen Vorgehen (ebenfalls zu Recht) zurückgewiesen werden, weil das AG den Antrag zu Recht nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen hat (vgl. KG, Beschl. v. 12.4.2022 – 3 Ws (B) 61/22). Zielführend ist vielmehr die Herbeiführung eines Gerichtsbeschlusses gem. § 238 Abs. 2 StPO in der HV nach Stellung eines Aussetzungsantrags wegen unterbliebener Offenlegung der erforderlichen Unterlagen. Sodann kann in der Rechtsbeschwerde die unzulässige Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) gerügt werden. Das ist etwas gänzlich anderes als die Rüge der Nichteinholung eines SV-Gutachtens (vgl. Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2 ff.; dies. NStZ 2014, 527; dies. DAR 2018, 541, 543).