Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 297
Für die sog. Verfahrensrüge sieht das Gesetz strenge Formvorschriften vor, die in der Praxis oft zum Scheitern eines Rechtsmittels führen. Es gibt auch keine allgemeine Verfahrensrüge, sodass die häufig in Rechtsbeschwerde(begründungs-)schriften zu findende Floskel: "Es wird die Verletzung formellen Rechts gerügt." unsinnig und, da sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließen kann, auch gefährlich ist (zur Verfahrensrüge eingehend Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1182 ff. und 2292 ff.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3161 ff.).
Rz. 298
Für den Verteidiger stellt sich zunächst die Frage: Wann muss ich mir überhaupt die Mühe machen, und meine Rüge an den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ausrichten?
Hier gilt die Faustregel:
Eine Rüge muss immer in der Form der Verfahrensrüge gebracht werden, wenn die Regelung, gegen die verstoßen worden ist/sein soll, den verfahrensrechtlichen Weg betrifft, auf dem der Richter seine Entscheidung gefunden hat, er also die Feststellungen, die er seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, verfahrensrechtlich falsch bzw. unvollständig getroffen oder auch prozessual notwendige Handlungen nicht oder fehlerhaft vorgenommen haben soll. Mit der Sachrüge (vgl. Rdn 308) werden hingegen Verstöße gegen sonstige (Rechts-)Vorschriften geltend gemacht (vgl. u.a. BGHSt 25, 100, 102 = NJW 1973, 523).
Rz. 299
Inhaltlich müssen die absoluten Revisions-/Rechtsbeschwerdegründe in § 338 Nr. 1 bis 8 StPO, der über § 79 Abs. 3 OWiG auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren gilt, von den sog. relativen Rechtsbeschwerdegründen unterschieden werden. Während das Gesetz bei jenen davon ausgeht, dass das Urteil immer auf dem Verfahrensverstoß beruht, muss bei diesen jeweils im Einzelfall festgestellt werden, dass das Urteil auf ihnen beruht. Allerdings braucht der Nachweis des Beruhens i.d.R. nicht geführt zu werden, es genügt, wenn das Urteil auf dem festgestellten Verstoß beruhen kann (zu den absoluten bzw. relativen Rechtsbeschwerde-/Revisionsgründen s. Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1182 ff. und Rn 2292 ff.; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2753 ff. m.w.N.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3179 ff.).
Hinweis
In diesem Zusammenhang ist der Grund des § 338 Nr. 8 StPO – "Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt" – von erheblicher Bedeutung. Zur Begründung dieses Revisionsgrundes können z.B. Vorgänge aus der Hauptverhandlung, die die Sachleitung des Verfahrens betreffen (z.B. Zurückweisung von Fragen des Verteidigers an einen Zeugen als unzulässig) geltend gemacht werden. Von Verteidigern wird aber häufig übersehen, dass das – wenn überhaupt – nur dann Erfolg hat, wenn die Beschränkung der Verteidigung durch einen Beschluss in der Hauptverhandlung, der gem. § 238 Abs. 2 StPO durch das Gericht nach Beanstandung der Maßnahme des Vorsitzenden ergangen ist, erfolgt ist (BGHSt 21, 334, 359; s. zur Beanstandung einer Maßnahme des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung gem. § 238 Abs. 2 eingehend Burhoff/Burhoff, HV, Rn 3407 ff.; s.u.a. BGH, NJW 2010, 1824; zur Beanstandung in Zusammenhang mit abgelehnter Einsicht in Aktenbestandteile oder Messunterlagen KG, VRR 2013, 76 = StRR 2013, 77 = VA 2013, 51 = DAR 2013, 213; OLG Naumburg, VRR 2013, 37 = StRR 2012, 36 = DAR 2013, 37; OLG Saarbrücken, VRR 4/2016, 18 = StRR 4/2016, 22 = VA 2016, 103; Burhoff, VRR 2011, 250; Cierniak, zfs 2012, 664, 676 f.; s.a. § 3 Rdn 197).
Rz. 300
Eine Verfahrensrüge sollte etwa wie folgt aufgebaut sein (eingehend zur Begründung der Verfahrensrüge Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1182 ff. und 2292 ff.; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2753 ff.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3261 ff.):
Rz. 301
Allgemeiner Aufbau/Gliederung von Verfahrensrügen (am Beispiel der Ablehnung eines Beweisantrages):
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Bezeichnung der verletzten Verfahrensnorm ("unberechtigte Ablehnung eines Beweisantrages", § 244 StPO) |
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Darstellung des Verfahrensmangels |
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Darstellung der zugrunde liegenden Verfahrenstatsachen mit Fundstellen in den Akten und ggf. Zitierung der entsprechenden Anträge und Beschlüsse |
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ggf. rechtliche Ausführungen |
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Beruhen des Urteils auf dem Fehler |
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bei absoluten Rechtsbeschwerdegründen genügt der kurze S.: Das Urteil beruht auf diesem Verstoß (§ 338 StPO) und dann die entsprechende Nummer/Ziffer. |
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bei relativen Rechtsbeschwerdegründen (§ 337 StPO) müssen die Darlegungen zur Beruhensfrage erfolgen (z.B. Hinweis auf Beweiswürdigung, die bei Vernehmung des – nicht vernommenen – Zeugen anders durchzuführen gewesen wäre). |
Rz. 302
Die Verfahrensrüge darf nicht mit Bezugnahmen und Verweisungen begründet werden. Das ist grds. nicht zulässig. Es darf nicht nur nicht auf Anlagen zur Rechtsbeschwerdebegründungsschrift verwiesen werden, sondern überhaupt nicht auf Akten, das Sitzungsprotokoll und andere Schriftstücke und auch nicht auf Ausführungen eines Mitverteidigers (BGH, NJW 2006, 1220; 2007, 1541; NStZ-RR 2010, 104 [Ci/Zi]). Vielmehr müssen die entsprechenden Fundstellen in ihrem Wortlaut oder in ihrem wesentlichen Inhalt wiedergeben werden (