Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
I. Allgemeine Fragen
Rz. 17
Hinzuweisen ist zunächst auf folgende Punkte (vgl. zu den allgemeinen Anforderungen an das Urteil wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2246 ff.; zu den allgemeinen Anforderungen an Urteile [in Bußgeldsachen] überhaupt Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3826 ff.):
Rz. 18
Hinweis
Bei der nachfolgenden Darstellung der mit Geschwindigkeitsüberschreitungen/-messungen zusammenhängenden Fragen werden vor allem die Anforderungen dargestellt, die die obergerichtliche Rechtsprechung an das tatrichterliche Urteil des Amtsrichters stellt. Diese müssen dem Verteidiger bekannt sein, wenn er das tatrichterliche Urteil mit der Rechtsbeschwerde anfechten will. Daraus lassen sich aber auch Verteidigungsansätze für das Verfahren bei der Verwaltungsbehörde und beim AG ableiten.
1. Allgemeines
Rz. 19
Allgemein ist darauf hinzuweisen/zu achten, dass
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auch in Bußgeldsachen den Urteilsgründen regelmäßig zu entnehmen sein muss, ob und wie sich der Betroffene in der Hauptverhandlung eingelassen hat und ob der Tatrichter der Einlassung gefolgt ist oder ob und inwieweit er sie für widerlegt angesehen hat. Dies gilt auch, wenn die Feststellung eines Verkehrsverstoßes auf einem standardisierten Messverfahren beruht. Denn auch dann besteht die Möglichkeit, dass sich der Betroffene z.B. bezüglich der Fahrereigenschaft, der Messung oder der näheren Umstände der Verkehrsordnungswidrigkeit in eine bestimmte Richtung substantiiert verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Einlassung verkannt oder rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (vgl. u.a. – teilweise auch zum Strafverfahren – BGH, Beschl. v. 12.12.2019 – 5 StR 444/19, NStZ 2020, 625; OLG Bamberg, DAR 2009, 655 [Ls.]; VA 2015, 120; DAR 2017, 383; KG, Beschl. v. 28.1.2021 – 3 Ws (B) 18/21; Beschl. v. 12.1.2022 – 3 Ws (B) 8/22; OLG Celle, VA 2010, 192 = VRR 2010, 432; Beschl. v. 9.4.2020 – 1 Ss (OWi) 4/20, VRS 139, 211 = VA 2020, 122; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2020 – IV-4 RBs 46/20, VA 2020, 199; OLG Karlsruhe, DAR 2017, 395; VA 2016, 209; OLG Koblenz, VA 2010, 197 [Ls.]; OLG Köln, DAR 2011, 150 = NZV 2011, 513 [Ls.] = VA 2011, 51 für Trunkenheitsfahrt; weitere Nachw. bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3840), |
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auch in Bußgeldsachen den Urteilsgründen zu entnehmen sein muss, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen (§ 267 Abs. 1 und 3 StPO i.V.m. § 71 OWiG). Sind die tatrichterlichen Feststellungen zur inneren Tatseite unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind oder lassen sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen, ist das Urteil aufzuheben (vgl. z.B. OLG Bamberg, VRR 2010, 323 = VA 2010, 177 m.w.N. aus der Rspr.; VRR 2014, 110 = VA 2014, 33 = NStZ-RR 2014, 58; weit. Nachw. bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 3835). |
Hinweis
Auch im Bußgeldverfahren darf in den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils nicht auf die Akten und/oder den Bußgeldbescheid Bezug genommen werden (OLG Bamberg, NZV 2008, 417; Beschl. v. 7.3.2018 – 3 Ss OWi 284/18, DAR 2018, 279 [Bezugnahme auf Eichschein]; OLG Bremen, DAR 1996, 32; OLG Hamm, VRS 104, 370 = NZV 2003, 295 für Begründung des Rechtsfolgenausspruchs; DAR 2008, 102 = VRS 113, 348 = VA 2008, 18 [Ls.]; OLG Jena, Beschl. v. 21.9.2020 – 1 OLG 151 SsBs 72/20 m.w.N.; OLG Köln, VRR 2007, 403 [Ls.]; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 8.1.2020 – 1 OWi 2 SsBs 117/19, VA 2020, 51).
2. Angabe des Tatortes/der Tatzeit
Rz. 20
Nicht selten fehlen in den amtsgerichtlichen Urteilen ausreichende Angaben zum Tatort oder zur Tatzeit. Dazu müssen aber in den Urteilsgründen Feststellungen getroffen werden. Das AG muss die (festgestellte) Tat nach Ort, Zeit und Art der Begehung so konkret bezeichnen, dass dem OLG als Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Identität zwischen der im Bußgeldbescheid vorgegebenen und der abgeurteilten Tat ermöglicht wird. Wird die Tat in den Urteilsgründen nicht ausreichend konkret individualisiert (zum Tatbegriff im Bußgeldverfahren Fromm, zfs 2018, 309), ist das Verfahren im Bußgeldverfahren wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Prozesshindernisses einzustellen. Eine erneute Verhandlung dürfte im Bußgeldverfahren wegen der kurzen Verjährungsfristen ausscheiden (vgl. zu allem OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 139; OLG Celle, NZV 2012, 399 = VRS 123, 81 m.w.N.; Beschl. v. 19.9.2011 – 32 Ss 114/11; zu den Tatortangaben [im Bußgeldbescheid] s.a. OLG Düsseldorf, VRR 2010, 277 = VA 2010, 123; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.1.2020 – 1 Rb 21 Ss 967/19; AG Bitterfeld-Wolfen, DV 2013, 134; AG Husum VA 2018, 31; AG Kaiserslautern, Beschl. v. 12.11.2021 – 8 OWi 6070 Js 17914/21, zfs 2022, 113; Beschl. v. 8.12.2021 – 8 OWi 6070 Js 18242/21 (2), DAR 2022, 284; AG Meldorf, Urt. v. 18.11.2020 – 25 OWi 305 Js 16575/20; AG Schleswig VA 2018, 158; AG Stadthagen VA 2018, 31; Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 742 ff.).
3. Gefahrene Geschwindigkeit
Rz. 21
Selbstverständlich muss das tatrichterli...