Rz. 295

Mit der Rechtsbeschwerde kann die Verfahrensrüge – sog. formelle Rüge (vgl. Rdn 297 ff.) – oder die Sachrüge – sog. materielle Rüge (vgl. Rdn 308 ff.) – erhoben werden. Daneben kann der Beschwerdeführer auch geltend machen, dass Verfahrensvoraussetzungen nicht oder -hindernisse vorgelegen haben (vgl. Rdn 296).

aa) Verfahrensvoraussetzungen oder -hindernisse

 

Rz. 296

Verfahrensvoraussetzungen und/oder -hindernisse sind auch im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu beachtende Umstände (Meyer-Goßner/Schmitt, § 352 Rn 2; eingehend Meyer-Goßner/Schmitt, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse, 2011, S. 41 ff.), sodass es einer ausdrücklichen Rüge an sich nicht bedarf. Es ist daher unschädlich, wenn der Verteidiger diese Mängel überhaupt nicht bemerkt oder nicht formgerecht oder verspätet geltend macht. Allerdings empfiehlt es sich für den Verteidiger, da das Rechtsbeschwerdegericht das Verfahren bei Vorliegen eines solchen Mangels nach §§ 206a, 354 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG i.d.R. durch Einstellung beenden muss, auch diesen Umstände nachzugehen (zur Geltendmachung eines Verfahrenshindernisses in der Revision Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2748 ff.; Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 2443 ff.; s. OLG Jena, VRS 112, 357 [kein Verfahrenshindernis, wenn in der Verfahrensakte Messprotokoll und Eichschein fehlen]).

bb) Verfahrensrüge

 

Rz. 297

Für die sog. Verfahrensrüge sieht das Gesetz strenge Formvorschriften vor, die in der Praxis oft zum Scheitern eines Rechtsmittels führen. Es gibt auch keine allgemeine Verfahrensrüge, sodass die häufig in Rechtsbeschwerde(begründungs-)schriften zu findende Floskel: "Es wird die Verletzung formellen Rechts gerügt." unsinnig und, da sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließen kann, auch gefährlich ist (zur Verfahrensrüge eingehend Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1182 ff. und 2292 ff.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3161 ff.).

 

Rz. 298

Für den Verteidiger stellt sich zunächst die Frage: Wann muss ich mir überhaupt die Mühe machen, und meine Rüge an den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ausrichten?

 

Hier gilt die Faustregel:

Eine Rüge muss immer in der Form der Verfahrensrüge gebracht werden, wenn die Regelung, gegen die verstoßen worden ist/sein soll, den verfahrensrechtlichen Weg betrifft, auf dem der Richter seine Entscheidung gefunden hat, er also die Feststellungen, die er seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, verfahrensrechtlich falsch bzw. unvollständig getroffen oder auch prozessual notwendige Handlungen nicht oder fehlerhaft vorgenommen haben soll. Mit der Sachrüge (vgl. Rdn 308) werden hingegen Verstöße gegen sonstige (Rechts-)Vorschriften geltend gemacht (vgl. u.a. BGHSt 25, 100, 102 = NJW 1973, 523).

 

Rz. 299

Inhaltlich müssen die absoluten Revisions-/Rechtsbeschwerdegründe in § 338 Nr. 1 bis 8 StPO, der über § 79 Abs. 3 OWiG auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren gilt, von den sog. relativen Rechtsbeschwerdegründen unterschieden werden. Während das Gesetz bei jenen davon ausgeht, dass das Urteil immer auf dem Verfahrensverstoß beruht, muss bei diesen jeweils im Einzelfall festgestellt werden, dass das Urteil auf ihnen beruht. Allerdings braucht der Nachweis des Beruhens i.d.R. nicht geführt zu werden, es genügt, wenn das Urteil auf dem festgestellten Verstoß beruhen kann (zu den absoluten bzw. relativen Rechtsbeschwerde-/Revisionsgründen s. Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1182 ff. und Rn 2292 ff.; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2753 ff. m.w.N.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3179 ff.).

 

Hinweis

In diesem Zusammenhang ist der Grund des § 338 Nr. 8 StPO – "Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt" – von erheblicher Bedeutung. Zur Begründung dieses Revisionsgrundes können z.B. Vorgänge aus der Hauptverhandlung, die die Sachleitung des Verfahrens betreffen (z.B. Zurückweisung von Fragen des Verteidigers an einen Zeugen als unzulässig) geltend gemacht werden. Von Verteidigern wird aber häufig übersehen, dass das – wenn überhaupt – nur dann Erfolg hat, wenn die Beschränkung der Verteidigung durch einen Beschluss in der Hauptverhandlung, der gem. § 238 Abs. 2 StPO durch das Gericht nach Beanstandung der Maßnahme des Vorsitzenden ergangen ist, erfolgt ist (BGHSt 21, 334, 359; s. zur Beanstandung einer Maßnahme des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung gem. § 238 Abs. 2 eingehend Burhoff/Burhoff, HV, Rn 3407 ff.; s.u.a. BGH, NJW 2010, 1824; zur Beanstandung in Zusammenhang mit abgelehnter Einsicht in Aktenbestandteile oder Messunterlagen KG, VRR 2013, 76 = StRR 2013, 77 = VA 2013, 51 = DAR 2013, 213; OLG Naumburg, VRR 2013, 37 = StRR 2012, 36 = DAR 2013, 37; OLG Saarbrücken, VRR 4/2016, 18 = StRR 4/2016, 22 = VA 2016, 103; Burhoff, VRR 2011, 250; Cierniak, zfs 2012, 664, 676 f.; s.a. § 3 Rdn 197).

 

Rz. 300

Eine Verfahrensrüge sollte etwa wie folgt aufgebaut sein (eingehend zur Begründung der Verfahrensrüge Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1182 ff. und 2292 ff.; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2753 ff.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3261 ff.):

 

Rz. 301

Allgemeiner Aufbau/Gliederung von Verfahrensrügen (am Beispiel der Able...

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