Rz. 145

Die bloße gefühlsmäßige Schätzung eines Polizeibeamten genügt i.d.R. für rechtsfehlerfreie Feststellungen nicht (KG, NZV 2002, 50; OLG Düsseldorf, DAR 2003, 85; OLG Hamburg DAR 2005, 165 m.w.N.; OLG Hamm, NZV 1998, 196; OLG Köln, NJW 2004, 3439 = NZV 2004, 651; OLG Saarbrücken, zfs 2016, 352; Burhoff/Burhoff, OWI, Rn 3504), es sei denn, das amtsgerichtliche Urteil enthält zusätzliche Ausführungen darüber, wie der Polizeibeamte die Feststellung einer bestimmten, im Urteil genannten Rotlichtzeit getroffen hat und diese Messmethode hinsichtlich ihrer Beweiskraft bewertet (BayObLG NZV 2002, 518; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2020 – 4 RBs 46/20, VA 2020, 199; OLG Hamm, DAR 2008, 35 = VRR 2008, 112 = zfs 2008, 111; weiter OLG Hamm, VRR 2009, 272 = VA 2009, 156; auch noch OLG Köln, VA 2012, 103 = zfs 2012, 292 = DAR 2012, 271 = VRR 2012, 123 [Ls.]; OLG Celle, VRR 2012, 34 = DAR 2012, 34 = NZV 2012, 403; AG Landstuhl VD 2011, 145). Entsprechendes gilt für sonstige zufällig anwesende Zeugen (OLG Hamm, VRR 2010, 72 m. Anm. Deutscher = VA 2010, 17). Die Dauer der Rotlichtphase kann auch mit der Stoppuhrfunktion eines Mobiltelefons gemessen/festgestellt werden (BayObLG, Beschl. v. 19.8.2019 – 201 ObOWi 238/19, StraFo 2020, 25 = zfs 2020, 173 = NZV 2020, 378; KG, Beschl. v. 26.3.2018 – 122 Ss 41/18, VRS 133, 141 = VA 2018, 159). Eine solche Messung ist nicht etwa deshalb unverwertbar, weil die Stoppuhr ungeeicht war (BayObLG, a.a.O.; KG, Beschl. v. 31.3.2004 – 3 Ws [B] 116/04, NZV 2004, 652 = VRS 107, 214 = DAR 2014, 711; OLG Celle, Beschl. v. 17.1.1996 – 1 Ss [OWi] 126/95, NZV 1996, 419 = VRS 91, 316; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.6.1993 – 2 Ss 72/93).

 

Hinweis:

Kann sich der Polizeibeamte an einen vom Betroffenen eingeräumten Rotlichtverstoß nichterinnern und findet sich in der Akte keine weitere Schilderung des Vorfalles durch den Polizeibeamten, kann die Rotlichtzeit von einer Sekunde nicht allein daraus entnommen werden, dass in der Vorwurfsschilderung für deren Richtigkeit der Zeuge die Verantwortung übernimmt, die Tatbestandsnummer 1376018 eingetragen und die stichwortartige Konkretisierung: "Rotlicht missachtet über eine 1 Sekunde" aufgenommen wurde (AG Dortmund, NZV 2019, 269 = VA 2019, 10).

 

Rz. 146

Wenn der Amtsrichter seine Überzeugung vom Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes auf die Entfernungsschätzungen von Zeugen, wie z.B. Polizeibeamte, stützt, bedarf es i.d.R. einer wertenden Auseinandersetzung mit Grundlagen und Beweiswert dieser Schätzung (OLG Köln, zfs 2012, 292 = DAR 2012, 271 = VA 2012, 103). In der Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass zwar an die Feststellung von qualifizierten Rotlichtverstößen durch Polizeibeamte gerade bei längeren Beobachtungszeiten nicht zu hohe Anforderungen zu stellen sind, bei einer nicht gezielten Feststellung eines Rotlichtverstoßes, bei einfachen Zeitschätzungen muss das Gericht aber weitere Indizien feststellen können, anhand derer sich die Schätzung der bereits verstrichenen Rotlichtzeit zur Zeit des Verstoßes abschätzen oder zumindest plausibel abgleichen lässt (AG Lüdinghausen, VRR 2014, 475 = VA 2015, 46 = NZV 2015, 255).

 

Hinweis

Allerdings kann die tatrichterliche Überzeugung und Schätzung einer länger als 1 Sekunde andauernden Rotphase auf die zuverlässige Beobachtung eines Zeugen, wonach das Wechsellichtzeichen unmittelbar nach dem Überfahren durch den Betroffenen wieder auf Grün umschaltete, gestützt werden (OLG Bamberg, NStZ-RR 2016, 57 = NZV 2016, 195).

 

Rz. 147

Die Obergerichte sind auch gegenüber Zeitmessungen mit dem Sekundenzeiger einer handelsüblichen Armbanduhr und dem Messen der Rotphase durch Mitzählen, also "21, 22 …", wegen der darin liegenden erheblichen Fehlermöglichkeiten kritisch (BayObLG DAR 1995, 496 = NZV 1995, 497 [für einen "zufällig" beobachteten Rotlichtverstoß]; KG, NZV 1995, 240; OLG Hamm, NZV 2001, 177 = zfs 2000, 513 = VA 2001, 29 m.w.N.; OLG Saarbrücken, zfs 2016, 352; s. aber OLG Hamm, NZV 2010, 42 = VRR 2009, 271 = VA 2009, 156); i.d.R. wird eine solche Zeitmessung als nicht ausreichend angesehen. Das gilt insb., wenn es sich nur um die zufällige Feststellung eines Rotlichtverstoßes handelt und bei der Feststellung einer Rotlichtzeit von sogar 2 Sekunden (OLG Hamm, NZV 2001, 177 = zfs 2000, 513 = VA 2001, 29). Jedenfalls soll die Messung durch Zählen nur verwertbar sein, wenn die Zahl "22" vollständig ausgesprochen oder – bei stillem Zählen – genannt ist (OLG Köln, VRS 106, 214). Auch muss ggf. ein ausreichender Sicherheitsabschlag gemacht werden (OLG Düsseldorf, DAR 2003, 234; OLG Köln, NJW 2004, 3439). Das gilt auch bei einer Messung mittels geeichter Stoppuhr (zum Toleranzwert s. KG NZV 2008, 587).

 

Hinweis

Das OLG Hamm (VRR 2009, 271 = VA 2009, 156 = NZV 2010, 41) knüpft die Verwertbarkeit einer Schätzung von Polizeibeamten an drei Voraussetzungen:

1. Der polizeiliche Zeuge muss zumindest in Gedanken gezählt haben ("einundzwanzig, zweiundzwanzig").
2. Die Rotlichtphase muss nach der auf diese Weise gewonnenen S...

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