Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 308
Vorab folgender
Hinweis
Es handelt sich um einen schweren Verteidigerfehler, wenn der Verteidiger, auch wenn er nur Verfahrensverstöße geltend machen will, neben der Verfahrensrüge nicht auch die allgemeine Sachrüge erhebt (dazu auch BGHSt 38, 302 = NJW 1992, 2304; BGH, NStZ 1993, 142 f.). Sieht das Rechtsbeschwerdegericht einen ggf. gerügten Verfahrensmangel als nicht gegeben an, muss es, wenn die Sachrüge nicht erhoben worden ist, die Rechtsbeschwerde als unzulässig oder unbegründet – je nachdem, ob die Verfahrensrüge ausreichend begründet worden ist oder nicht – verwerfen. Hat der Verteidiger hingegen (auch) die Sachrüge erhoben, muss das Rechtsbeschwerdegericht das angefochtene Urteil nun noch auf sonstige Fehler insgesamt überprüfen.
Zudem hat die Verfahrensweise den Vorteil, dass die Sachrüge – und nur diese – dem OLG den Zugang auf das Urteil und damit ggf. auch den Zugang auf Urteilsstellen, die für die Verfahrensrüge bedeutsam sein können, eröffnet (u.a. BGHSt 38, 302; 38, 372; BGH, NStZ 1996, 145; StraFo 2008, 332; zuletzt u.a. Beschl. v. 26.3.2008 – 2 StR 61/08,; OLG Brandenburg, NStZ 1997, 612; OLG Celle, StV 2013, 12 [Ls.] = StRR 2012, 424; OLG Hamm, StraFo 2001, 244 = NStZ-RR 2001, 373; StRR 2008, 308; 2008, 346; Meyer-Goßner/Schmitt, § 344 Rn 20). Denn aufgrund einer zulässig erhobenen Sachrüge können – was sonst nicht möglich ist – zusätzlich zum Rechtsbeschwerdevorbringen des Verteidigers die Urteilsgründe berücksichtigt werden. Möglicherweise kann das für die Verfahrensrüge entscheidend sein (vgl. die Fallgestaltungen bei OLG Celle, OLG Hamm, jeweils a.a.O.).
Rz. 309
Fraglich ist, ob und inwieweit die Sachrüge begründet werden sollte (dazu – für die Revision – Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2723 ff.; zur Begründung auch Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1157 ff.). Häufig lassen sich Verteidiger durch die Möglichkeit, die Sachrüge nur in allgemeiner Form erheben zu können, also z.B. nur die "Verletzung des materiellen Rechts" zu rügen, davon abhalten, selbst sorgfältig in den Urteilsgründen z.B. nach Schwächen bei der Feststellung des Sachverhalts zu forschen, die Beweiswürdigung auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen oder sich auch mit der richtigen Rechtsanwendung auseinander zu setzen. Das ist falsch. Denn hat der Verteidiger Rechtsfehler gefunden, sollte er diese zur Begründung der Rechtsbeschwerde auch vortragen. Das, was er als Verteidiger nicht übersehen hat, können weder die Generalstaatsanwaltschaft noch das OLG übersehen und – was wichtiger ist – auch nicht übergehen.
Hinweis
Aber Vorsicht: Macht der Verteidiger zur Sachrüge Einzelausführungen, ist es ratsam, diese mit der Klarstellung einzuleiten, dass sie nur der Ergänzung der allgemeinen Sachrüge dienen. Dann können die Ausführungen nicht als eine beschränkende Erläuterung verstanden und damit dann auch nicht als eine nachträgliche Rechtsbeschwerdebeschränkung gewertet werden, was sonst grds. zulässig wäre (BGHSt 38, 4 = NJW 1991, 3162).
Es sollte wie folgt formuliert werden:
"Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts. Gerügt wird insbes. – ohne damit eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde vorzunehmen – Folgendes: (…)."
Rz. 310
Für die Begründung der Sachrüge muss sich der Verteidiger auch immer vor Augen halten, dass das OLG zur Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung nur das Urteil zur Verfügung hat und ein Blick in die Akten ihm verwehrt ist. Das bedeutet, dass die Erfahrung des Verteidigers aus der ersten Instanz bei der Begründung des Rechtsmittels grds. ohne Bedeutung ist. Der Verteidiger muss sich auf die angefochtene Entscheidung und deren Ausführungen konzentrieren. Deshalb erübrigen sich Ausführungen dazu, warum der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme zu einer anderen Überzeugung hätte gelangen, zumindest aber Zweifel ("in dubio pro reo") hätte haben müssen, wenn sich nicht aus den Urteilsgründen ergibt, dass das Gericht bei seiner gefundenen Entscheidung noch Zweifel gehabt hat. Denn nur dann ist der Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt (BVerfG, StraFo 2007, 463; BGH, NJW 1973, 1209).
Rz. 311
Fehlerhaft sind Begründungen der Sachrüge häufig auch im Bereich der Beweiswürdigung, die i.d.R. in jedem Urteil enthalten ist und in der das Tatgericht die Ergebnisse der Beweisaufnahme erschöpfend darstellen und würdigen muss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 267 Rn 12 m.w.N.). Hier meinen viele Verteidiger, ansetzen zu können, indem sie dazu vortragen. Häufig erschöpfen sich ihre Ausführungen dann aber nur in Angriffen auf die tatrichterlichen Feststellungen oder auf die mit der tatrichterlichen Beweiswürdigung zusammenhängenden Fragen. Dabei wird übersehen, dass die Rechtsbeschwerde – ebenso wie die Revision – und damit dann die Sachrüge – was aus § 337 StPO folgt – auf die Verletzung einer Rechtsnorm gestützt sein muss. Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft die Beweiswürdigung des Tatrichters also nur auf Rechtsfehler, es kann nicht die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene – andere – Würdigung ersetzen (BGHSt 10...