Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 114
Die Anforderungen an das tatrichterliche Urteil sind nicht bei allen Messverfahren gleich, sondern je nach dem verwendeten Messverfahren unterschiedlich (zum Urteil Burhoff/Gieg/Krenberger, OWi, Rn 147 ff.). Wegen der erforderlichen Feststellungen zur Fahrlässigkeit/Vorsatz wird verwiesen auf Burhoff/Gieg/Krenberger, OWiG; Rn 139 ff. (aus der Rspr. BayObLG, Beschl. v. 2.8.2019 – 201 ObOWi 1338/19, DAR 2020, 105; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.9.2019 – 1 Rb 10 Ss 618/19, DAR 2020, 109; AG Helmstedt, Urt. v. 17.12.2019 – 15 OWi 912 Js 57459/19; AG Landstuhl, Urt. v. 20.4.2021 – 2 OWi 4211 Js 1233/21); wobei zur Beurteilung des Fahrverhaltens eines Betroffenen im sog. Fernbereich die Inaugenscheinnahme des Tatvideos genügt soll (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 28.10.1993 – 1 Ss OWi 426/92 -, NZV 1994, 120; AG Helmstedt, a.a.O.). Allein aus dem Ausmaß der Unterschreitung des Sicherheitsabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug kann grds. – auch bei gravierender Unterschreitung – noch nicht auf vorsätzliche Begehungsweise geschlossen werden. Vielmehr sind regelmäßig Feststellungen zur Fahrweise des vorausfahrenden Fahrzeugs erforderlich, die ihrerseits zur Verringerung des Abstandes beigetragen haben könnten (abruptes Gaswegnehmen, Bremsen, plötzliches Ausscheren vor dem Betroffenen). Umstände, aufgrund derer der Tatrichter auf mindestens Eventualvorsatz bei Begehung der Abstandsunterschreitung schließen kann, sind etwa die Länge der gefahrenen Strecke, das Maß der Fahrpraxis aufgrund der gefahrenen Jahreskilometer und die Dauer des 'Besitzes der Fahrerlaubnis (OLG Koblenz, Beschl. v. 15.11.2021 – 3 OWi 32 SsBs 239/21, DAR 2022, 221 = VRR 12/2021, 18 = VA 2022, 31).
1. Feststellungen beim Video-Abstands-Messverfahren
Rz. 115
Nur das Video-Abstands-Messverfahren bzw. das Nachfolgeverfahren VKS sind (teilweise) standardisierte Messverfahren i.S.d. o.a. Rechtsprechung des BGH und zwar hinsichtlich der ermittelten Zeitwerte, nicht hingegen hinsichtlich der ermittelten Geschwindigkeiten (vgl. OLG Bamberg, DAR 2012, 268 = VA 2012, 101; vgl. a. noch Rdn 107). Für dieses gilt somit die Rechtsprechung des BGH (allgemein zu standardisierten Messverfahren BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321; Krumm, DAR 2005, 55; Burhoff/Gieg, OWi, Rn 152 ff. m.w.N.; Rdn 44 m.w.N.). Die tatsächlichen Feststellungen sind daher ausreichend – diese Feststellungen sind aber auch erforderlich – wenn zur Messmethode (nur) mitgeteilt wird, welches Messverfahren angewandt worden ist. Außerdem muss der zu berücksichtigende Toleranzwert dargelegt werden (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Bamberg, NZV 2010, 369 = zfs 2009, 594 = VRR 2009, 323 = VA 2009, 157; OLG Düsseldorf, DAR 1994, 248, OLG Hamm, NZV 1995, 118 = VRS 88, 307; DAR 1998, 281 = VRS 95, 293; OLG Köln, NZV 1994, 78 = VRS 86, 316 [jeweils zur Geschwindigkeitsüberschreitung]). Diese Angaben sind auch erforderlich, wenn der Betroffene den Verkehrsverstoß einräumt bzw. der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf die Rechtsfolgen beschränkt worden ist (s. OLG Hamm, NZV 2002, 101; 2002, 282; 2002, 381; a.A. OLG Köln, NZV 2003, 100, jew. m.w.N.; dazu die entsprechenden geltenden Ausführungen bei Rdn 66 ff.).
Hinweis
Der Tatrichter muss sich darüber hinaus nur dann von der Zuverlässigkeit der konkreten Messung überzeugen, wenn auch konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (so schon BayObLG, DAR 1996, 411, OLG Hamm, NStZ 1990, 546; DAR 2000, 129; OLG Saarbrücken, NStZ 1996, 207; ebenfalls zur Geschwindigkeitsüberschreitung; s. i.Ü. zur Abstandsmessung OLG Koblenz, VA 2002, 156).
Der Tatrichter kann nicht gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf eine in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene (bewegte) digitale Videoaufzeichnung Bezug nehmen (BGHSt 57, 53; OLG Bamberg, Beschl. v. 19.7.2017 – 3 Ss OWi 836/17; Meyer-Goßner/Schmitt, § 267 Rn 9; Burhoff/Gieg/Krenberger, OWi, Rn 145, jeweils m.w.N. aus der Rspr.).
Rz. 116
Auch bei der Abstandsmessung muss insoweit der Verteidiger tätig werden. Denn wenn in der Tatsacheninstanz keine Messfehler (dazu § 1 Rdn 356 ff.) geltend gemacht bzw. behauptet werden, dann besteht für den Amtsrichter insoweit auch keine sich aus § 244 Abs. 2 StPO ergebende Aufklärungspflicht und dann kann später auch nicht in der Rechtsbeschwerdeinstanz mit der Aufklärungsrüge in diesem Bereich ein Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht geltend gemacht werden. Deshalb muss schon beim AG zu Besonderheiten, also Fehlern der Messung vorgetragen werden.
2. Feststellungen bei den sonstigen Verfahren
a) Allgemeine Feststellungen
Rz. 117
Bei den übrigen Messverfahren handelt es sich nicht um standardisierte Messverfahren (vgl. Burhoff, VA 2003, 165; OLG Hamm, VA 2003, 107; zfs 2009, 470; DAR 2009, 156 = VRR 2009, 195). Demgemäß sind folgende (allgemeine) Feststellungen erforderlich (auch Burhoff/Gieg, OWi, Rn 164 ff.):
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Der Tatrichter muss zunächst mitteilen, nach welchem Verfahren Abstand und Geschwindigkeit gemessen worden sind (vgl. u.a. OLG Hamm, VA 2003, 107; zfs 2009, 470; DAR 2009, 156 = VRR 2009, 195). |
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Die tatsächlichen Grundlagen der Geschwindigkeitsfeststellung müssen mitgeteilt wer... |