Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
1. Allgemeines
Rz. 254
Das Bußgeldverfahren kennt als Rechtsmittel nur die Rechtsbeschwerde (eingehend dazu Burhoff/Junker, OWi, Rn 3020 ff.; Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1053 ff.; Burhoff, ZAP F. 21, 263 ff.; vgl. a. Fromm, NZV 2019, 408). Diese ist in den §§ 79 ff. OWiG der Revision (§§ 333 bis 358 StPO) nachgebildet. Ebenso wie diese ermöglicht sie nur eine Nachprüfung der Entscheidung und des vorausgegangenen gerichtlichen Verfahrens in rechtlicher Hinsicht. Die Rechtsbeschwerde unterscheidet sich von der Revision aber dadurch, dass sie nicht nur gegen Urteile statthaft ist, sondern grds. in gleicher Weise gegen Entscheidungen, die im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG ergangen sind.
Rz. 255
Aus Gründen der Praktikabilität bestehen bei der Rechtsbeschwerde strikte Zulassungsbeschränkungen für weniger bedeutsame Ordnungswidrigkeiten (vgl. Rdn 271 ff.), wobei Ungerechtigkeiten im Einzelfall bewusst in Kauf genommen werden. Das OWiG unterscheidet zwischen solchen Einwänden, die – bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 5 OWiG – kraft Gesetzes zulässig sind und solchen, die einer ausdrücklichen Zulassung durch das Beschwerdegericht bedürfen (§ 79 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 80 OWiG). Die Beschränkung des Rechtsbeschwerdeverfahrens verfolgt das Ziel, die Obergerichte von Bagatellsachen zu entlasten und sie in ihrer Aufgabe – die Vereinheitlichung der Rechtsprechung und Fortbildung des Rechts – funktionstüchtig zu erhalten.
Rz. 256
Schließlich ist das Rechtsbeschwerdeverfahren einfacher als bei der Revision geregelt, da das zuständige OLG grds. durch Beschluss, also i.d.R. ohne Hauptverhandlung entscheidet (§ 79 Abs. 5 S. 1 OWiG). Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann auch aufgrund einer Hauptverhandlung durch Urteil entschieden werden (§ 79 Abs. 5 S. 2 OWiG). Das OLG kann abweichend von § 354 StPO (immer) in der Sache selbst entscheiden oder an das erstbefasste oder ein anderes AG zurückverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Bei einer eigenen Sachentscheidung kann das OLG – im Rahmen des Verschlechterungsverbotes (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 StPO) – die Folgen aussprechen, die bei der Zurückverweisung das AG aussprechen würde. Dies ist sowohl bei einer Aufhebung als auch einer Bestätigung des amtsgerichtlichen Urteils möglich (OLG Düsseldorf, VRS 74, 219). Voraussetzung ist dabei stets, dass der Sachverhalt nach Aktenlage genügend aufgeklärt ist, da das Beschwerdegericht keine neuen Tatsachen feststellen kann.
Rz. 257
Nach § 121 GVG ist eine Vorlage an den BGH dann notwendig, wenn das Beschwerdegericht von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen möchte. Dabei müssen sowohl die frühere wie auch die neue Rechtsansicht entscheidungserheblich sein; eine Divergenz allein in den Gründen führt nicht zur Vorlagepflicht.
2. Einlegung der Rechtsbeschwerde
a) Allgemeines
Rz. 258
Voraussetzung für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ist eine Beschwer des Rechtsbeschwerdeführers. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln: Es ist also nur derjenige beschwert, dessen Rechte oder schutzwürdigen Interessen durch die angefochtene Entscheidung unmittelbar beeinträchtigt sind (BGHSt 16, 374 ff.; wegen der weiteren Einzelheiten vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 296 Rn 9 ff. m.w.N.: zur Beschwer bei der Rechtsmitteleinlegung allgemein Burhoff/Kotz/Kotz, Teil A Rn 1383 ff.).
Rz. 259
Die Anfechtungsberechtigung richtet sich ebenfalls nach den allgemeinen Regeln. Danach sind also zur Einlegung der Rechtsbeschwerde i.d.R. berechtigt:
▪ |
der Betroffene und |
▪ |
die StA. |
Für den Betroffenen kann der Verteidiger aus eigenem Recht und im eigenen Namen Rechtsbeschwerde einlegen (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 297 StPO), allerdings nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen.
b) Frist
Rz. 260
Nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 341 Abs. 1 StPO muss die Rechtsbeschwerde bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, binnen einer Woche schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden (vgl. eingehend Burhoff/Junker, OWi, Rn 3103 ff.; Junker/Veh, VRR 2006, 9; dies., VRR 2006, 50; Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1129 ff.; allgemein zur Rechtsmitteleinlegung Burhoff/Kotz/Kotz, RM, Teil A Rn 1466 ff.; Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2582 ff. m.w.N.; zur Einlegung der Revision Burhoff/Burhoff, HV, Rn 2818 ff.). Wenn die Verkündung des Urteils nicht in Anwesenheit des Betroffenen stattgefunden hat und dieser auch nicht durch einen gem. § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten war oder aber ein Beschluss nach § 72 OWiG ergangen ist, beginnt die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 4 OWiG erst mit der Zustellung (zur Vertretung des Betroffenen durch den Verteidiger Burhoff/Burhoff, HV, Rn 3834 ff. m.w.N.).
c) Form
Rz. 261
Zur Form der Einlegung der Rechtsbeschwerde bestimmt § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 341 Abs. 1 StPO, dass sie schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts, dessen Urteil angefochten wird, zu erklären ist (vgl. Burhoff/Junker, OWi, Rn 3089 ff.; Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1115 ff.; allgemein B...