Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 88
Die Geschwindigkeitsüberschreitung kann gerechtfertigt sein (dazu eingehend Burhoff, VA 2005, 162 und Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2387 ff.; Krumm, DAR 2012, 606, auch Blum, NZV 2011, 378). In Betracht kommen die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, wobei der rechtfertigende Notstand besondere Bedeutung hat. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass durch die Geschwindigkeitsüberschreitung grds. andere nicht unverhältnismäßig gefährdet werden dürfen (BayObLG, NZV 1991, 81). Erforderlich für die Annahme des Rechtfertigungsgrundes ist es, dass die Gefahr nicht auf andere, die Allgemeinheit weniger gefährdende Weise beseitigt werden kann (u.a. OLG Hamm, NZV 1997, 186; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.3.2021 – IV-2 RBs 13/21, NStZ 2021, 616 = NZV 2021, 436; Burhoff, VA 2005, 162; Krumm DAR 2012, 606, 607).
Rz. 89
Im Einzelnen können folgende Umstände zur Rechtfertigung in Betracht kommen (Burhoff, VA 2005, 162; Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2395 ff.):
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Geschwindigkeitsüberschreitung eines Arztes, der als Notarzt Hilfe leisten muss (vgl. u.a. OLG Karlsruhe, NJW 2005, 450 = NZV 2005, 54; OLG Köln, DAR 2005, 574 = zfs 2005, 468; OLG Schleswig, SchlHA 2005, 264), wobei sich dann aber aus dem Urteil ergeben muss, dass wirklich ein Notfall vorgelegen hat (OLG Köln, a.a.O.; zu den Arztfällen a. Krumm, DAR 2012, 606, 608), |
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Gesundheitsgefahren für den Betroffenen bzw. für Dritte, wie z.B. bei einer hochschwangeren Frau (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 1995, 168; OLG Hamm, zfs 1996, 77), ggf. bei dem Vater eines kranken Sohns (OLG Karlsruhe, zfs 2005, 517 = NZV 2005, 542 = DAR 2005, 644; ähnlich AG Bad Salzungen, zfs 2008, 168 [allerdings Annahme von Augenblicksversagen]), oder eine gestürzte Mutter (OLG Celle, VRR 4/2015, S. 15), nicht aber allein bei der Sorge des Betroffenen um seine im Pkw mitfahrende hochschwangere Ehefrau (OLG Karlsruhe, DAR 2002, 229; ähnlich; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.3.2021 – IV-2 RBs 13/21, NStZ 2021, 616 = NZV 2021, 436), und auch nicht allein die drohende Niederkunft der Ehefrau, wenn der Betroffene durch einen Anruf weiß, dass diese sich in ärztlicher Obhut befindet (OLG Hamm, VRR 2009, 34), |
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Gefahrenabwehr, wie z.B. das Nachfahren, um einen anderen Verkehrsteilnehmer auf eine von seinem Fahrzeug ausgehende Gefährdung aufmerksam zu machen (OLG Köln, NZV 1995, 119), |
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ggf. Stuhl-/Harndrang (OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.2.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 41/19 (45/19), NZV 2020, 106; OLG Zweibrücken, zfs 1997, 196 = NStZ-RR 1997, 379; KG, Beschl. v. 26.10.1998 – 2 Ss 263/98; OLG Düsseldorf VA 2008, 15 [Ls.] = zfs 2008, 168; Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2396 f.; Burhoff, VA 2005, 162; s. aber OLG Hamm, Beschl. v. 3.8.2004 – 4 Ss OWi 464/04, und OLG Schleswig, SchlHA 2006, 295), aber wohl nicht, wenn der Betroffene sich dahin eingelassen hat, er habe bereits vor Erreichen einer Geschwindigkeitsbegrenzungszone Probleme in seinem Darm wahrgenommen, unter denen er bereits seit geraumer Zeit leide (AG Lüdinghausen, VA 2014, 82 = DAR 2014, 217 = VRR 2014, 196 = NZV 2014, 481), |
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Inanspruchnahme von Sonderrechten durch Angehörige von Hilfsorganisationen, und zwar ggf. schon auf dem Weg zum Einsatz (OLG Stuttgart, DAR 2002, 366; NZV 2003, 410; a.A. OLG Frankfurt am Main, NZV 1992, 334; auch AG Riesa, DAR 2005, 109.), |
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nicht Geschwindigkeitsüberschreitung zur Abwendung befürchteter Verunreinigung des Fahrgastraums durch Erbrechen (OLG Bamberg, DAR 2014, 394 = zfs 2014, 650 [Geschwindigkeitsüberschreitung schon nicht das zur Gefahrenabwehr geeignete Mittel]). |
Hinweis
In diesen Fällen muss das Urteil die entsprechenden Feststellungen enthalten (OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.2.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 41/19 (45/19), NZV 2020, 106; OLG Hamm, zfs 1996, 154; OLG Karlsruhe, NZV 2005, 542 = DAR 2005, 644 = zfs 2005, 517; Krumm, DAR 2012, 606 f.). Hat der Betroffene sich "nur eine Situation vorgestellt, die ggf. die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes erfüllt, kann er sich in einem Verbotsirrtum befinden, der dann das Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt" (OLG Celle, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Köln, NZV 1995, 119; Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 2404 f.; Krumm, DAR 2102, 606, 607).