Rz. 95
Trotz des Umstandes, dass sich die Entstehung und Struktur einer Erbengemeinschaft stets streng nach dem Erbstatut des Erblassers richten, kann es auch nach Einführung der Europäischen Erbrechtsverordnung, in ganz bestimmten Konstellationen zu einer Nachlassspaltung kommen. Ein Klassiker in diesem Bereich war früher sicherlich der deutsche Erblasser mit Immobilienvermögen in Frankreich und letztem Wohnsitz in Deutschland. Diese Fälle führten, vor Einführung der EuErbVO, stets zu einer Nachlassspaltung. Wir erinnern uns: Da aus deutscher Sicht die Staatsangehörigkeit zur Bestimmung des Erbstatuts maßgeblich war, fand auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen ausschließlich deutsches Erbrecht Anwendung. Aus französischer Sicht wiederum fand auf das bewegliche Vermögen deutsches, auf das unbewegliche Vermögen in Frankreich französisches Erbrecht nach dem Grundsatz lex rei sitae Anwendung. Dieser Grundsatz wiederum fand gemäß Art. 3a EGBGB a.F. aus deutscher Sicht Beachtung, sodass es auch aus deutscher Sicht zu einer Nachlassspaltung kam.
Rz. 96
Aus erbrechtlicher Sicht entstanden damit von Todes wegen zwei rechtlich selbstständige Nachlassmassen und damit auch zwei rechtlich selbstständige Nachlässe. Diese waren völlig unabhängig voneinander zu behandeln.
Des Weiteren konnte der Erblasser in seiner Verfügung von Todes wegen auch für beide Nachlässe unterschiedliche Erben bestimmen. Er konnte sogar für jeden einzelnen Spaltnachlass eine eigene Verfügung von Todes wegen errichten.
Rz. 97
Solche Konstellationen sind und waren solange unproblematisch, solange beide Staaten zu gleichen Ergebnissen in der Bestimmung des Erbstatuts kommen bzw. kamen. Problematisch, aber nicht selten, waren früher die Fälle, in denen die nationalen Erbrechte zu Unterschieden bei der Bestimmung des Erbstatuts gelangen und sich damit Überschneidungen bei den einzelnen Nachlassmassen ergaben.
Rz. 98
Mit der Einführung der EuErbVO hat man nun den, im Ergebnis wohl in weiten Teilen gelungenen, Versuch einer Harmonisierung der Anknüpfungsmerkmale innerhalb der Erbrechte der Europäischen Union unternommen, ohne die eigentlichen erbrechtlichen Bestimmungen zu verändern. Aus Sicht aller Vertragsparteien der EuErbVO kommt es zur Bestimmung des Erbstatuts gemäß Art. 21 Abs. 1 EuErbVO nur noch auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt an (Ausnahme engere Verbindung zu einem anderen Staat.) Für den oben skizzierten deutsch-französischen Erbfall bedeutet dies, dass seit Inkrafttreten der EuErbVO (Verordnung EU Nr. 650/2012) auf den Erbfall sowohl aus deutscher als auch französischer Sicht für das gesamte Vermögen nur noch deutsches Erbrecht gem. Art. 4, 21 Abs. 1 EuErbVO Anwendung findet.
Rz. 99
Dennoch sind die Fälle, in denen es zu Überschneidungen oder unauflöslichen Problemen bei der Bestimmung des Erbstatuts kommt, nicht vollständig vom Tisch. Zwar bestimmt die EuErbVO, dass über Art. 21 EuErbVO auch dann das Erbstatut bestimmt werden soll, wenn die Person nicht einem Vertragsstaat der EuErbVO angehörte, jedoch in diesem mit letztem Wohnsitz ansässig war. Allerdings findet umgekehrt, also in nicht EU-Ländern, diese Regel nicht überall "Gehör"; sprich alle Länder außerhalb der Europäischen Union bestimmen ihr Erbstatut, wie vor Einführung der EuErbVO, auch anhand nationaler Gesetze. Dies gilt selbstverständlich auch für IPR und Anknüpfungstatbestände. Wie sollte es auch anders sein. Zu Problemen kommt es damit also, nach wie vor, bei Auslandsberührung mit den USA beispielsweise. Denn dort wird bei der Bestimmung des Erbstatuts nach beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden. In aller Regel kann davon ausgegangen werden, dass in den Vereinigten Staaten belegenes unbewegliches Vermögen ausschließlich nach US-Recht vererbt wird (Grundsatz der lex rei sitae). Die aus Sicht der EuErbVO einheitliche Behandlung von beweglichem und unbeweglichem Vermögen (Grundsatz der Nachlasseinheit) wird in der täglichen Praxis in solchen Konstellationen schlichtweg an deren Durchsetzbarkeit scheitern, sodass im Ergebnis eine Nachlassspaltung trotz Einführung der EuErbVO eintritt.
Rz. 100
Nimmt man den oben skizzierten Fall einmal für gegeben an, so kommt man zu folgendem Ergebnis: Aus Sicht der EuErbVO liegt ein einheitlicher Nachlass und damit nur eine Erbengemeinschaft vor. Aus US-Sicht hingegen, den letzten Wohnsitz in Deutschland und die deutsche Staatsangehörigkeit des Erblassers einmal unterstellt, unterliegt das Grundstück in den Vereinigten Staaten dem Recht des jeweiligen US-Bundesstaats. Damit liegt ein Entscheidungsdissens vor. Beide Rechtsordnungen erklären sich für zuständig und anwendbar (positiver Rechtsanwendungskonflikt). Es findet also in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Nachlassabwicklung nach dem common law System statt. In einem deutschen Europäischen Nachlasszeugnis hingegen wird der amerikanische Staatsbürger ausschließlich nach deutschem Erbrecht beerbt werden. Tatsächlich kommt ...