Rz. 47
Fallen das auf die Wirkungen der Adoption anwendbare Recht und das Erbstatut auseinander, fragt sich, ob sich das Erlöschen des Erbrechts in der leiblichen Familie und die Begründung eines Erbrechts in der Familie des Annehmenden aus dem Recht ergeben, das allgemein die Adoptionswirkungen bestimmt, oder aus dem Erbstatut. Diese Frage ist umstritten und nicht höchstrichterlich geklärt.
Rz. 48
Nach der wohl überwiegenden Ansicht entscheidet das Erbstatut darüber, ob angenommene Personen überhaupt erbberechtigt sein können und welche erbrechtliche Stellung ihnen aufgrund der Adoption und der Stellung in der Familie zukommt (sog. erbrechtliche Qualifikation). Nach dem Adoptionsstatut bzw. dem auf die anerkannte Adoption angewandten Recht entscheide sich allein, ob die Adoption wirksam ist (Vorfrage). Ergibt sich aus dem Erbstatut, dass auch eine Adoption eine erbrechtliche Position des Angenommenen begründen kann, so sei dem Adoptionswirkungsstatut zu entnehmen, ob es zwischen dem Erblasser und dem Adoptivkind zu einer so starken rechtlichen verwandtschaftlichen Beziehung gekommen sei, wie sie das für die Erbfolge maßgebende Recht für eine Beteiligung an der gesetzlichen Erbfolge voraussetze (Substitution). Das Adoptionsstatut entscheide mithin nur, welchen Verwandten der Angenommene familienrechtlich gleichgestellt ist und zu welchen leiblichen Verwandten die familienrechtlichen Beziehungen erlöschen.
Rz. 49
Diese Ansicht ist m.E. nicht ganz widerspruchsfrei und führt zu einer erbrechtlichen Diskriminierung der an einer Adoption beteiligten Personen: Die herrschende Ansicht verneint bei Vorliegen einer Volladoption ein Erbrecht auch dann, wenn das Erbstatut ein Erbrecht des Angenommenen nur deswegen nicht gewährt, weil dieser Rechtsordnung (wie z.B. den islamischen Rechten) die Adoption insgesamt unbekannt ist oder weil sie nur die "schwache Adoption" kennt, man also gar nicht feststellen kann, wie ein Richter dieses Landes auf der Basis "seines" materiellen Rechts entscheiden würde, wenn er die Volladoption anerkannt hätte, die zur Begründung eines vollwertigen Abstammungsverhältnisses führt. Das Erbrecht hängt im praktischen Ergebnis davon ab, dass sowohl das Adoptionsstatut als auch das Erbstatut das Erbrecht aufgrund der Adoption anerkennen. Damit wird auf diesem Weg eine vom Gesetz nicht vorgesehene kumulative Anknüpfung des Erbrechts an das Erb- und das Adoptionsstatut vorgenommen, die den Angenommenen im Zweifel vom Erbrecht ausschließt.
Rz. 50
Die EuErbVO verschärft diesen Konflikt noch dadurch, dass nunmehr ein ursprünglich gegebenes gesetzliches Erbrecht des Angenommenen dadurch verschwinden kann, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes Land verlegt oder eine Rechtswahl trifft.
Rz. 51
Nach m.E. vorzugswürdiger Ansicht handelt es sich bei der Erbberechtigung des Angenommenen um eine Frage der Adoptionswirkungen (adoptionsrechtliche Qualifikation): Das Erbstatut regelt, welche Angehörigen erben und Art und Umfang der Erbberechtigung. Aus dem Adoptionsstatut bzw. bei Dekretadoption aus dem auf die Adoption tatsächlich angewandten Recht ergibt sich dagegen, ob die Adoption ein derartiges Verwandtschaftsverhältnis begründet hat (Frage der Substitution), so dass also das sich aus dem Adoptionsstatut ergebende Verwandtschaftsverhältnis bei der Beurteilung der erbrechtlichen Frage nach dem Erbstatut zugrunde zu legen ist. Es kann mithin ein Erbrecht auch dann entstehen, wenn die für die Erbfolge maßgebliche Rechtsordnung keine Adoption kennt oder nur eine "schwache Adoption" ohne erbrechtliche Konsequenzen. Bei Zugrundelegung dieser Auffassung würde z.B. der Umwandlungsausspruch unmittelbar zur Begründung der erbrechtlichen Position führen.
Rz. 52
Praxishinweis:
Der Erblasser kann bei der Anwendung der adoptionsrechtlichen Qualifikation verbleibende Unsicherheiten vermeiden, indem er durch einen Umwandlungsausspruch gem. § 3 AdWirkG den Einklang von Adoptions- und Erbstatut herbeiführt oder aber – sollte deutsches Erbrecht Erbstatut sein – in sein Testament eine Gleichstellungserklärung gem. Art. 22 Abs. 3 S. 1 EGBGB aufnimmt. Dabei dürfte die Möglichkeit der Gleichstellungserklärung, da es sich um keine Regelung des Kollisionsrechts, sondern um eine Regelung des materiellen deutschen Erbrechts handelt, durch die EuErbVO voraussichtlich nicht "verdrängt" werden.