Rz. 96
Im französischen Recht gilt die Vereinbarung von der gesetzlichen Halbteilung abweichender Quoten für die Auseinandersetzung des Güterstandes im Falle des Todes nicht als Schenkung oder Vermächtnis, sondern als entgeltliches Geschäft, soweit die Erwerbschancen beider Ehegatten halbwegs ebenbürtig sind. Sie sind also im französischen Erbrecht "pflichtteilsfest". Ähnliches ergibt sich für die Vereinbarung einer joint tenancy unter Ehegatten, die im Güterstand der community property nach dem Recht eines der einschlägigen US-Staaten leben und aufgrund derer dem überlebenden Ehegatten ebenfalls das Gesamtgut zuwächst; ebenso die Gütergemeinschaft auf den Todesfall nach dänischem Recht, bei der nur das Vermögen des Zuerstversterbenden in die Gütergemeinschaft fällt, das Vermögen des Überlebenden aber Sondergut bleibt.
Rz. 97
Die Zulässigkeit und Wirksamkeit derartiger Vereinbarungen sind nach einer Ansicht erbrechtlich zu qualifizieren, da so Wirksamkeit und Wirkungen einer Verfügung von Todes wegen einheitlich nach einer einzigen Rechtsordnung beurteilt werden können. Nach anderer Ansicht gilt das Güterstatut, da die Wirksamkeit der Klausel vom Bestehen eines bestimmten Güterstandes abhänge und sich der Übergang des Vermögens auf den überlebenden Ehegatten "vorbei am Nachlass" auf spezifisch güterrechtlichem Wege vollziehe. Der Schutz der Angehörigen wird hierbei nicht preisgegeben, denn auch bei güterrechtlicher Qualifikation bleibt die Frage, gegen welche Zuwendungen unter Eheleuten Verwandte des Erblassers zum Schutz ihrer Pflichtteilsrechte geschützt werden und ob die Erbmasse durch güterrechtliche Vereinbarungen zu Lasten der Pflichtteilsberechtigten vermindert werden kann, erbrechtlich zu qualifizieren. Die erbrechtlichen Regeln über die Mindestbeteiligung der Angehörigen am Nachlass können ohnehin nicht ausgeschaltet werden, indem güterrechtliche Vereinbarungen dem Recht eines anderen Staates unterstellt werden. Für die Beteiligten ist es funktionell gleichwertig, ob sie sich durch "Berliner Testament" bzw. Erbvertrag gegenseitig nach deutschem Recht zu Alleinerben einsetzen oder der gleiche wirtschaftliche Erfolg durch eine nur für den Todesfall gedachte güterrechtliche Teilungsregelung herbeigeführt wird.
Rz. 98
So gilt im Beispiel (Rdn 85) für den Erwerb des ehelichen Gesamtguts durch die Ehefrau das für die güterrechtlichen Verhältnisse maßgebliche französische Güterstatut. Ob die Zuwendung des über die Hälfte hinausgehenden Anteils am Gesamtgut eine ergänzungspflichtige unentgeltliche Zuwendung darstellt, unterliegt hingegen nicht dem Güterstatut, sondern dem als Erbstatut geltenden deutschen Recht (§ 2325 BGB). Dieses bejaht die Ergänzungspflichtigkeit einer güterrechtlichen Vereinbarung, wenn die Absichten der Eheleute nicht auf eine Ordnung der beiderseitigen Vermögen zwecks Verwirklichung der Ehe, sondern auf "ehefremde Zwecke" gerichtet waren. Eine derartige Annahme kommt aber nur ausnahmsweise in Betracht, z.B. wenn ein Ehevertrag geschlossen wird, um pflichtteilsberechtigte Angehörige zu benachteiligen. Im Beispielsfall stand bei Abschluss des Ehevertrages offenbar die Versorgung des überlebenden Ehegatten im Vordergrund. Die Absicht der Benachteiligung der Kinder scheidet schon deswegen aus, weil die Kinder zum Zeitpunkt des Abschlusses des Ehevertrages noch nicht geboren waren. Fraglich ist allerdings, ob nicht schon die Zuweisung von der Halbteilung abweichender Erbquoten hier dazu führt, dass die vom BGH gezogenen Grenzen der angemessenen Gestaltung überschritten werden.
Rz. 99
Praxishinweis:
Umgekehrt kann eine güterrechtliche Vereinbarung auch die Wirkungen eines Pflichtteilsverzichts erfüllen. So ist im französischen Recht ein Pflichtteilsverzicht – wie der Erbvertrag – grundsätzlich verboten. Der überlebende Ehegatte hat – auch nach der jüngsten Reform des Erbrechts im Jahre 2006 – neben Abkömmlingen des Erblassers aber weiterhin keinerlei Pflichtteil, sondern soll durch Teilung der ehelichen Errungenschaft abgesichert werden. Durch Vereinbarung der Gütertrennung gibt er auch diese Rechte auf, so dass er im Fall der Erbeinsetzung der Kinder allenfalls Unterhaltsansprüche und ein Wohnrecht geltend machen könnte.