Rz. 111
Einzelvermächtnisse und Teilungsanordnungen betreffen nicht den Übergang des Vermögens als Ganzes (Universalsukzession), sondern einzelne Rechte, die aus dem Nachlass herausgelöst werden (Singularsukzession). Selbst dann, wenn dem Vermächtnis in der Rechtsordnung, die Erbstatut ist, unmittelbar verfügende Wirkung zukommen sollte – wie z.B. im französischen oder italienischen Recht (sog. Vindikationslegat), weil dort nach dem dinglichen Konsensprinzip die Begründung des Anspruchs auf die Sache bereits zum Übergang des Eigentums führt –, könnte man daher die Ansicht vertreten, dass die verfügende "dingliche" Wirkung des Vermächtnisses nicht dem Erbstatut zu entnehmen sein, sondern vielmehr dinglich zu qualifizieren sei und sich damit nach dem einschlägigen Einzelstatut (Sachenstatut, Schuldstatut etc.) bestimme.
Rz. 112
Diese Frage ist nach Inkrafttreten der EuErbVO erneut aufgekocht und zu einer der in Deutschland am heftigsten diskutierten Streitfragen geworden. Aufgrund einer Vorlage in einem Verfahren, das die Beurkundung eines Testaments betraf, wurde schon frühzeitig die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Rz. 113
Hintergrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kubicka war die Weigerung des polnischen Notars, in das Testament einer polnischen Erblasserin ein Vindikationslegat nach polnischem ZGB hinsichtlich eines in Deutschland belegenen Grundstücks aufzunehmen. So bestimmt Art. 981l § 1 des polnischen Zivilgesetzbuchs, dass der Erblasser in einem in Form einer notariellen Urkunde errichteten Testament bestimmen kann, dass eine bestimmte Person den Gegenstand des Vermächtnisses im Zeitpunkt des Erbfalls erwirbt. Der polnische Notar berief sich dabei auf die in Deutschland damals herrschende Literaturmeinung, wonach ein Vermächtnis auch nach Inkrafttreten der EuErbVO bei Geltung ausländischen Erbrechts hinsichtlich in Deutschland belegener Sachen entsprechend den Regeln des deutschen Sachenrechts ausschließlich schuldrechtliche Wirkungen entfalten könne, nicht aber zum automatischen Erwerb des Eigentums durch den Vermächtnisnehmer mit dem Eintritt des Erbfalls führe. Auf diese Weise wurde diese – in der Praxis nicht unbedingt sehr häufig auftretende – Frage zum Thema der ersten Entscheidung überhaupt, die der EuGH zur EuErbVO fällen musste.
Rz. 114
Man hätte in dieser Frage die Ansicht vertreten können, der Erwerb des Eigentums an einer bestimmten Sache betreffe nicht den Vermögensübergang und sei daher nicht Gegenstand des Erbstatuts, sondern des Sachenstatuts (sachenrechtliche Qualifikation). Freilich hatte sich auch in Deutschland die Rechtsprechung und Lehre schon auf die Ansicht festgelegt, für die Entscheidung zwischen Vindikationslegat und Damnationslegat sei das Erbstatut maßgeblich. Der Eigentumserwerb durch den Vermächtnisnehmer ergebe sich gem. Art. 23 Abs. 2 lit. e EuErbVO ("der Übergang der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte, …") aus dem Erbstatut. Nachträglich wurde dann unter Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 2, insbesondere lit. l ("jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register, …") versucht, die Frage aus dem Anwendungsbereich der EuErbVO wieder herauszuziehen.
Rz. 115
Es verwundert wenig, dass der EuGH dieser widersprüchlichen Argumentation nicht gefolgt ist. Nachdem die erbrechtliche Qualifikation erst einmal allgemein akzeptierte Ansicht war, ergaben sich aus der Perspektive des Europarechts keine Argumente mehr gegen die Beurteilung der dinglichen Wirkungen eines Vermächtnisses nach Maßgabe des Erbstatuts. Daher hat der EuGH die verfügende Wirkung eines Vermächtnisses nach dem polnischen Zivilrecht auch auf das in Frankfurt/Oder belegene Grundstück erstreckt.
Rz. 116
Beispiel:
Mithin kommt dem Vermächtnis eines in einem westfälischen Reitstall stehenden Rappen, einem Miteigentumsanteil an einer in Frankfurt/Oder belegenen Eigentumswohnung oder einer Guthabenforderung bei der Frankfurter Filiale einer New Yorker Großbank bei Geltung italienischen Erbstatuts unmittelbar verfügende dingliche Wirkung zu. Das Eigentum geht daher unmittelbar mit dem Erbfall auf den Vermächtnisnehmer über.
Dieser kann daher durch ein Europäisches Nachlasszeugnis, das ihn gem. Art. 68 lit. m EuErbVO als Inhaber dieser Nachlassrechte ausweist, unmittelbar bei der Bank die Auszahlung des Kontoguthabens bzw. gem. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO die Grundbuchberichtigung auf seinen Namen beantragen.
Schwierig wird in der Praxis freilich die Legitimation des Vermächtnisnehmers aufgrund bloßen Testaments. Dieses genügt zwar nach der Rechtsprechung des BGH der Bank gegenüber und bei öffentlicher Beurkundung auch gem. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO dem Grundbuchamt gegenüber als Nachweis der Erbfolge (bzw. im vorliegenden Fall der Anordnung des Vermächtnisses). Aus dem Testament ergibt sich aber noch nicht, dass ein ausländisches Recht gilt und es ergibt sich hieraus erst recht nicht, dass das Vermächtnis nach diesem auslän...