Rz. 125
Viele der sog. romanischen Rechtsordnungen, insbesondere das französische, das spanische und das belgische, aber auch das ungarische Recht sehen für den überlebenden Ehegatten immer noch statt einer quotenmäßigen Beteiligung (Miterbenstellung) am Nachlass einen kraft Gesetzes entstehenden Nießbrauch am gesamten Nachlass bzw. an einer bestimmten Quote des Nachlasses vor. Ist ein Teil des Nachlasses im Inland belegen, werden gegen die Anerkennung eines solchen ipso iure entstehenden Nießbrauchs Bedenken vorgetragen. Die Entstehung des Nießbrauchs kraft Gesetzes sei mit dem deutschen Sachenrecht nicht vereinbar. Ersatzweise seien die als Erben berufenen Verwandten verpflichtet, den Nießbrauch an den einzelnen Nachlassgegenständen rechtsgeschäftlich zu bestellen.
Rz. 126
Allerdings kennt das deutsche Sachenrecht nur den Nießbrauch an einzelnen Gegenständen, nicht aber den Nießbrauch an einer Vermögensgesamtheit. Daher entspricht die Summe der nach deutschem Recht an den einzelnen Nachlassgegenständen bestellten Nießbrauchsrechte nicht unbedingt der rechtlichen Position, die dem Ehegatten nach dem Inhalt der ausländischen Rechtsordnung zustehen soll. Würde man dagegen den Vermögensnießbrauch statt in Einzelnießbräuche in eine besondere Art der Vorerbschaft des überlebenden Ehegatten umdeuten, bewegt man sich weiterhin auf der Ebene des Vermögensstatuts und ist vom Typenzwang des deutschen Sachenstatuts befreit. Vielmehr könnte man auf der Ebene des erbrechtlichen Gesamtstatuts die Rechtsstellung des Vermögensnießbrauchers der ausländischen Rechtsordnung nachbilden und käme damit der Wertung des Erbstatuts am nächsten.
Rz. 127
Die Bedenken der Rechtsprechung bleiben allenfalls bezüglich des gesetzlichen Ehegattennießbrauchs nach dem italienischen Recht berechtigt. Dieser entsteht neben dem gesetzlichen Erbteil bzw. dem Pflichtteil des Ehegatten und beschränkt sich auf die Ehewohnung samt Inventar. Hierbei handelt es sich um keine Form der Universalsukzession, da sich der Nießbrauch nicht auf den gesamten Nachlass bzw. eine Quote desselben (inklusive Aktiva und Passiva) erstreckt, sondern auf bestimmte Nachlassaktiva (Ehewohnung, Hausrat) beschränkt. Wegen dieser gegenständlichen Beschränkung würde insbesondere auch die Umdeutung dieser Position in eine Vorerbenstellung ausscheiden. Insoweit liegt also eine Form der Individualsukzession vor, die für in Deutschland belegenes Vermögen nur in den Formen der Einzelverfügung unter Lebenden (Übereignung, Abtretung etc.) vollzogen werden kann.
Rz. 128
Dennoch wird man auch in diesem Zusammenhang die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kubicka akzeptieren müssen. Der Nießbrauch des überlebenden Ehegatten am gesamten Nachlass, einer Quote am Nachlass oder auch an bestimmten Gegenständen des Nachlasses ist daher durch ein deutsches Gericht im Europäischen Nachlasszeugnis einzutragen. In gleicher Weise ist die unmittelbare Entstehung des Nießbrauchs an im Inland belegenen Gegenständen mit Eintritt des Erbfalls anzuerkennen.