Rz. 53
In einer zunehmenden Anzahl von Staaten, z.B. Israel, Kroatien, Neuseeland, Australien und Slowenien, entsteht ein gegenseitiges gesetzliches Erbrecht schon aufgrund einer formlos begründeten nichtehelichen Lebensgemeinschaft, soweit diese durch eine bestimmte Mindestdauer, die Geburt gemeinschaftlicher Kinder oder andere Faktoren eine bestimmte Stabilität erreicht hat. Das auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft anwendbare Recht ist gesetzlich nicht geregelt. Auch die EuPartVO findet keine Anwendung, da diese ausschließlich eingetragene Partnerschaften erfasst. Weitgehend ungeklärt ist und wenig erläutert wird die Frage, wie dieses Erbrecht kollisionsrechtlich zu behandeln ist.
Rz. 54
Nach einer Ansicht ergibt sich zwar das Erbrecht des nichtehelichen Lebensgefährten aus dem Erbstatut, das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sei aber als selbstständige Vorfrage zu behandeln und in entsprechender Anwendung von Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach den Heimatrechten der Partner – bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit gelangen beide Rechte kumulativ zur Anwendung (siehe Rdn 10) bzw. von Art. 14 Abs. 2 EGBGB – zu behandeln. Folge wäre, dass das Erbrecht des überlebenden Lebensgefährten nicht allein davon abhängt, dass ihm das Erbstatut ein solches gewährt, sondern kumulativ davon, dass nach den Heimatrechten beider Partner bzw. dem Recht des Staates, in dem beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (vgl. Art. 14 Abs. 2 analog) eine "nichteheliche Lebensgemeinschaft" vorlag. Eine Variante dieser Ansicht will nicht das gemeinsame Heimatrecht, sondern das Aufenthaltsrecht der Lebensgefährten zugrunde legen. Es gilt also das Recht des Staates, in dem beide aktuell ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Rz. 55
Nach einer anderen Auffassung, die z.B. auch das BayObLG einmal angewandt hatte, ist das Bestehen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft dagegen nicht als Vorfrage zu behandeln. Vielmehr sollen die Voraussetzungen für das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft in einer "erbrechtlichen Lösung" unmittelbar der auf die Erbfolge anwendbaren Rechtsordnung entnommen werden. Das wird auch für die EuErbVO so angenommen.
Rz. 56
Letztere Auffassung vermeidet zahlreiche rechtliche Unsicherheiten: Anders als bei "Ehe" oder "Abstammung" handelt es sich bei dem Begriff der nichtehelichen Lebensgemeinschaft um keinen typisierten Begriff. So kennt das deutsche Zivilrecht z.B. den Begriff der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht, weil es an ihn keine zivilrechtlichen Folgen knüpft. Hinzu kommt, dass die erbrechtlichen Folgen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft auf die mehr oder weniger strengen Anforderungen der jeweiligen Rechtsordnung an Dauer und Intensität der nichtehelichen Lebensgemeinschaft abgestimmt sind. Bei Kombination verschiedener Rechtsordnungen können so nicht beabsichtigte Ergebnisse zu Tage treten. Dagegen besteht bei Konkubinaten von Personen mit divergierendem Erbstatut im Rahmen der "erbrechtlichen Lösung" (vgl. Rdn 24) die Gefahr von Äquivalenzstörungen: Leben z.B. ein Slowene und eine Italienerin gemeinsam, würde danach zwar die Italienerin den Slowenen bei seinem Tode beerben, bei ihrem Versterben hingegen kämen im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge bei Geltung italienischen Erbrechts (z.B. aufgrund Rechtswahl) allein ihre Verwandten zum Zuge. Freilich ist auch das Ehegattenerbrecht in den nationalen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich ausgestaltet, so dass sich hier nie eine Gleichheit ergibt. Letztlich sollte man aber auch darauf verweisen, dass aufgrund Geltung der EuErbVO nun dann, wenn der Lebensgefährte nichts anderes testamentarisch angeordnet hat, ohnehin gleiches Erbrecht gilt, sollten beide Lebensgefährten dauerhaft gemeinsam im selben EU-Mitgliedsstaat leben. Divergierende Erbstatuten sollten daher die praktische Ausnahme sein.