Rz. 172

Im Hinblick auf die kollisionsrechtliche Einordnung war vor der GmbH-Reform durch das MoMiG zwischen den Rechtsprechungs- und den Novellenregeln zu differenzieren (siehe Rdn 170). Während die Rechtsprechungsregeln aufgrund ihres dogmatischen Ursprungs in §§ 30, 31 GmbHG als abstrakt-präventive Regelungen eingestuft wurden, die sich einer insolvenzrechtlichen Qualifikation entzogen,[470] wurden die Novellenregeln der §§ 32a, 32b GmbHG aufgrund ihrer sich erst im Rahmen eines Insolvenzverfahrens entfaltenden Wirkungen sowie ihrer Rechtsformunabhängigkeit und der tatbestandlichen Ausgestaltung (Vorliegen eines Insolvenzgrundes) insolvenzrechtlich qualifiziert, wie der BGH zuletzt im sog. PIN-Fall unter Rekurs auf Art. 4 Abs. 2 lit. g EuInsVO a.F. noch einmal ausdrücklich hervorgehoben hat.[471] Freilich wurde aber wiederum überwiegend dafür plädiert, die Vorfrage des eigenkapitalersetzenden Charakters eines Darlehens abzuspalten und gesellschaftsrechtlich anzuknüpfen,[472] was wiederum zu Schutzlücken führen konnte.[473]

 

Rz. 173

Diese Nachteile vermeidet dagegen das reformierte Recht. Aufgrund des nunmehr durchweg bestehenden Insolvenzerfordernisses – auf die nach altem Recht erforderliche Krise kommt es nicht mehr an[474] – und der erst im Insolvenzverfahren eingreifenden Rechtsfolgen in Gestalt eines gesetzlichen Rangrücktritts gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und der Anfechtbarkeit von Rückzahlungen und Sicherheitenbestellungen nach § 135 InsO sowie nicht zuletzt aufgrund der rechtsformneutralen Geltung sind die Regelungen nunmehr unzweifelhaft und in sämtlichen Aspekten insolvenzrechtlich zu qualifizieren,[475] zumal dies dem erklärten Willen des Gesetzgebers entspricht.[476] Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit ist dies angesichts der Regelung des Art. 7 Abs. 2 lit. i und m EuInsVO unbedenklich.[477] Als Teil des Insolvenzstatuts kommen die geltenden Bestimmungen daher in jedem inländischen Insolvenzverfahren zur Anwendung, unabhängig von Herkunft, d.h. Gründungsstaat, und Rechtsform des Schuldners.[478] Zu beachten ist allerdings, dass die in Art. 16 EuInsVO vorgesehene Sonderanknüpfung zum Schutze des Anfechtungsgegners einer Anfechtung entgegenstehen kann.[479]

[470] Fischer, ZIP 2004, 1477, 1480; Röhricht, ZIP 2005, 505, 512; vgl. auch BGHZ 148, 167, 168.
[471] BGH NJW 2011, 3784; hierzu Wedemann, IPRax 2012, 226; Schall, NJW 2011, 3745; vgl. ferner Altmeppen, NJW 2004, 97, 103; Borges, ZIP 2004, 733, 743; Fischer, ZIP 2004, 1477, 1480; Kienle, NotBZ 2008, 245, 255 f.; Müller, NZG 2003, 417; Röhricht, ZIP 2005, 505, 512; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589.
[472] Vgl. nur BGHZ 148, 167, 168 und zuletzt BGH NJW 2011, 3784 m. Bespr. Schall, NJW 2011, 3745, 3746; Altmeppen, NJW 2004, 97, 103; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1088; Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn 42; Müller, NZG 2003, 414, 417; Schumann, DB 2004, 743, 748; Trunk, Internationales Insolvenzrecht, 1998, S. 192 f.; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589. A.A. für eine einheitliche Unterstellung unter das Insolvenzstatut dagegen Haas, NZI 2001, 1, 9 f.; ders., NZI 2002, 457, 456; Kindler, NZG 2003, 1086, 1090; Paulus, ZIP 2002, 729, 734; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Weller, IPRax 2003, 520, 524.
[473] Namentlich, wenn das ausländische Gesellschaftsstatut eine Umqualifizierung oder Subordination von Fremdkapital überhaupt nicht kannte; die Gesellschafter konnten dann – vorbehaltlich einer Anpassung – freimütig Fremdkapital zuführen und par condicio an der Insolvenzmasse partizipieren. Ferner konnte ein Normenmangel entstehen, wenn die hinsichtlich des Gesellschaftsrechts berufene Rechtsordnung eine Regelung im Insolvenzrecht vorhielt, die aber nicht zur Anwendung berufen war.
[474] Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1918.
[475] So auch BGH NJW 2011, 3784.
[476] BT-Drucks 16/6140, S. 130 f.; Kienle, NotBZ 2008, 245, 256.
[477] Ausdrücklich BGH NJW 2011, 3784; Bedenken dagegen bei Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn 44; Borges, ZIP 2004, 733, 743: Die Umqualifizierung könne sich als Marktzugangshindernis erweisen, weil sie einen Druck zur Finanzierung mit Eigenkapital entfalte, der sich schon vor dem Marktzutritt bemerkbar machen könne.
[478] So BGH, NJW 2011, 378, in Bezug auf eine société anonyme mit Satzungssitz in Luxemburg; vgl. auch Behrens, IPRax 2010, 230; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 326.
[479] Danach gelten die Anfechtungsnormen des Insolvenzstatuts nicht, wenn die Handlung dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterlag und sie danach nicht anfechtbar ist; das kollisionsrechtliche Vertrauensinteresse des Anfechtungsgegners wird mithin geschützt. Nach englischem Recht sind Leistungen an einen Gesellschafter nicht anfechtbar, wenn das Geschäft einem Drittvergleich standhält, sec. 238 ff. Insolvency Act, vgl. zum Vorstehenden Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 119.

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