Florian Kienle, Pius Dolzer
Rz. 132
Gemeinsame Voraussetzung beider Nebenverfahren ist gem. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, dass der Schuldner eine Niederlassung in dem Gebiet des Mitgliedstaates hat, in dem das Nebenverfahren eröffnet wird. Als Niederlassung definiert Art. 2 Nr. 10 EuInsVO jeden Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht nur vorübergehender Art nachgeht oder in den drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nachgegangen ist, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt; der EuGH verlangt darüber hinaus ein Mindestmaß an Organisation und eine gewisse Stabilität. Mithin soll die bloße Vermögensbelegenheit oder das Vorhandensein von Bankkonten für eine Eröffnungszuständigkeit nicht ausreichen. Auf die Eintragung als Niederlassung im Handelsregister ist dagegen nicht entscheidend abzustellen. Umgekehrt soll nach dem EuGH ein Sekundärverfahren auch im Staat des Gesellschaftssitzes möglich sein, wenn die Gesellschaft bereits in einem anderen Mitgliedstaat Gegenstand eines Hauptverfahrens ist (siehe Rdn 133). Keine zuständigkeitsbegründende Niederlassung angenommen hat der BGH im Falle eines seines Amtes (vorläufig) enthobenen Notars, da dieser insoweit keine wirtschaftliche Aktivität mehr entfalten könne; ob dies mit der Fortdauer der zuständigkeitsbegründenden Wirkung eines früheren Interessenmittelpunktes für ein Hauptverfahren nach Einstellung der wirtschaftlichen Aktivität vereinbar ist, darf zumindest bezweifelt werden (vgl. Rdn 124).
Rz. 133
Das AG Köln hat angenommen, dass ein Sekundärverfahren im Inland auch dann eröffnet werden könne, wenn zwar sämtliche Vermögensgegenstände im Inland belegen seien, ein inländisches Hauptverfahren aber wegen der Eröffnung des Hauptverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat nicht möglich sei. Die Belegenheit sämtlicher Vermögensgegenstände stelle ein Mehr gegenüber einer Niederlassung i.S.v. Art. 3 Abs. 3; Art. 2 lit. h (a.F., heute Art. 2 Nr. 10) EuInsVO dar. Diese Auffassung ist bedenklich. Dem Anerkennungsprinzip ist das Vorhandensein abweichender Begriffsverständnisse immanent. Lokalisiert das Gericht eines anderen Mitgliedstaates den Interessenmittelpunkt des Schuldners infolge abweichender Kriterien als in dessen Hoheitsgebiet belegen, so darf diese Auslegung nicht dadurch konterkariert werden, dass ein nach Auffassung des deutschen Gerichts im Inland zu eröffnendes Hauptverfahren als Sekundärverfahren deklariert wird. Dies würde entgegen Art. 19 Abs. 1 EuInsVO eine Überprüfung der ausländischen Zuständigkeit beinhalten und sie infolge der speziellen Beschlagswirkung des Sekundärverfahrens, die in diesem Fall das überwiegende, wenn nicht gesamte Vermögen betrifft, torpedieren. Eine derartige Anerkennungsweigerung sieht Art. 33 EuInsVO dagegen nur bei einer Verletzung des ordre public vor. Die Leitfunktion des Hauptverfahrens und die Einflussmöglichkeiten des Hauptverwalters auf das Sekundärverfahren vermögen diesen Malus nicht auszugleichen. Diese Beurteilung wird auch nicht durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Burgo Group ./. Illochroma in Zweifel gezogen, sondern findet darin umgekehrt ihre Bestätigung. Zwar hat der EuGH hier ein Sekundärverfahren in dem Mitgliedstaat zugelassen, in dem sich der Satzungssitz der Gesellschaft befand (Belgien), er hat insoweit aber klargestellt, dass der für die Eröffnung des Hauptverfahrens maßgebliche Interessenmittelpunkt (in Frankreich) nicht zwangsläufig mit dem Ort des satzungsmäßigen Sitzes übereinstimmen müsse.
Rz. 134
Der Niederlassungsbegriff der EuInsVO ist damit ein anderer als derjenige, den der EuGH in seinen Urteilen zur gesellschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit zugrunde gelegt hat. Den Urteilen in Sachen Centros und Inspire Art lagen jeweils Gestaltungen zugrunde, in denen eine Scheinauslandsgesellschaft im Inland formal eine Zweigniederlassung zu errichten suchte, die jedoch den tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung bildete. Der EuGH hat gleichwohl nur auf die sekundäre Niederlassungsfreiheit zur Begründung rekurriert. Eine derart formale Sichtweise verbietet sich indes im Rahmen der EuInsVO, da die primäre Zuständigkeit für die Eröffnung des Hauptverfahrens, die an den Interessenmittelpunkt des Schuldners anknüpft, nicht dadurch ausgehebelt werden darf, dass der Gemeinschuldner seine Hauptverwaltung als Zweigniederlassung deklariert und damit mangels Eröffnungszuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates die Durchführung eines Hauptverfahrens überhaupt blockieren könnte. Ob der EuGH seinen Niederlassungsbegriff auch im Bereich der grenzüberschreitenden Mobilität weiter mit "Realitätskriterien" aufladen wird (vgl. Rdn 16 a.E.), bleibt abzuwarten.
Rz. 135
Die örtliche Zuständigkeit für die Eröffnung eines Nebenverfahrens ist in Art. 102 § 1 Abs. 2 EGInsO geregelt. Besteht danach die internationale Eröffnungszuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, so ist ausschließlich das Insolvenzgeri...