Florian Kienle, Pius Dolzer
Rz. 23
Wie der BGH jüngst bestätigt hat, gelten obige Grundsätze regelmäßig auch für Kapitalgesellschaften, die in einem EFTA-Staat gegründet wurden (zur Schweiz siehe Rdn 24). Das zwischen diesen Staaten geltende EWR-Abkommen enthält in Art. 31, 34 im Wesentlichen gleich lautende Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit. Die in den Entscheidungen des EuGH niedergelegten Grundsätze zu deren Auslegung sind auch im Rahmen von Art. 31 EWR zur Anwendung zu bringen.
Rz. 24
Ferner können sich Gesellschaften aus Drittstaaten, mit denen eine entsprechende staatsvertragliche Regelung besteht, auf eine darin enthaltene Niederlassungsfreiheit berufen. Im Verhältnis zwischen den USA und der Bundesrepublik enthält Art. XXV des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 eine entsprechende Regelung. Im Übrigen, d.h. im Verhältnis zu Drittstaaten außerhalb von Staatsverträgen, bleibt es dagegen weiterhin bei der Geltung der Sitztheorie. Dies hat der BGH in seiner jüngsten Entscheidung in Sachen Trabrennbahn im Zusammenhang mit der Anerkennung einer Schweizer Gesellschaft nochmals ausdrücklich klargestellt; die Gesellschaft konnte sich weder auf die Niederlassungsfreiheit des EGV (jetzt: AEUV) noch auf Art. 31, 34 des EWR-Abkommens berufen, da die Schweiz zwar Mitglied des EFTA-Raumes ist, das EWR-Abkommen aber nicht unterzeichnet hat. Folge der Nichtanerkennung einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft ist, dass der Verband in die deutschen Gesellschaftsformen einzuordnen ist; in Ermangelung der Gründungsvoraussetzungen des GmbHG oder des AktG bleibt nur die Subsumtion unter eine der Personengesellschaftsformen der GbR oder der OHG (bei Betrieb eines Handelsgewerbes) mit den entsprechenden Haftungsfolgen, wie der BGH jüngst im Zusammenhang mit einer nach dem Recht von Singapur gegründeten Ltd. mit inländischem Verwaltungssitz, deren Gesellschafter er der Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG unterworfen hat, klargestellt hat. Diese Umqualifizierung ausländischer Kapitalgesellschaften in inländische Personengesellschaften wird plastisch auch als Wechselbalglehre bezeichnet. Allerdings ist zu beachten, dass dies freilich nur gilt, wenn die (außereuropäische) Auslandsgesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland hat; operiert sie von ihrem Gründungsstaat aus, stellen sich diese Probleme nicht.
Rz. 25
Im Zuge des Brexit ist auch das Vereinigte Königreich wieder auf den Status eines Drittstaates zurückgefallen. Dieses ist mit Wirkung zum 1.1.2020 nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Übergangsregelungen bestanden durch das Austrittsabkommen bis 31.12.2020. Seit 1.1.2021 jedoch gilt im Verhältnis zum Vereinigten Königreich wieder die Sitztheorie. Ein bilaterales oder multilaterales Abkommen, welches erneut zur Anwendung der Gründungstheorie führen würde, besteht bislang nicht. UK-Gesellschaften können sich mithin nach dem Brexit auf die Niederlassungsfreiheit nicht mehr berufen.